Die Gewandschneiderin (German Edition)
Isabella von England heimholen würde.
Das Warten wurde zur Qual. Anna stand zwischen zwei vierschrötigen Männern in edlen Gewändern und wartete auf eine Frau, die sie hasste, ohne sie zuvor gesehen zu haben.
Die Zeit floss grausam träge dahin. Fliegen krabbelten matt über die Hauswände. Die Füße wurden Anna taub, der Nacken schmerzte, und vom Starren gegen die Sonne brannten ihr die Augen. Sie stieß einen Seufzer aus. Wann traf endlich der Brautzug ein?
Schließlich tat sich etwas. Ganz hinten erhoben sich Jubelrufe, kleine Wolken aus frischen Blütenblättern taumelten durch die Luft und sanken schaukelnd auf die Tiere herab, die in bunter Prozession den Weg entlangkamen. Ganz vorn schritten halb nackte Wächter mit Raubkatzen, die mit Halsschlingen aus Draht an Stangen auf Abstand gehalten wurden. Andere Wächter in den pluderigen Hosen, die Anna an Friedrichs Hof schon so häufig gesehen hatte, führten zwei zahme Kamele, Affen, Hunde und sogar die Giraffe sowie den Elefanten durch die Menge der Schaulustigen. Gleich hinter dem mächtigen Elefanten ritt Friedrich der Zweite, das Banner in der vorgereckten Rechten, die Zügel des Rappen fest im Griff. Anna konnte nicht umhin, den Behang des Pferdes zu bewundern. Blauer Samt, der Stoff, aus dem die kostbaren Schuhe gefertigt waren, bedeckte den Körper des Tieres. Selbst der Kopf steckte in einer Haube, die nur Augen, Ohren und das Maul frei ließen. Die Männer neben Anna verbeugten sich, und auch sie selbst erwies dem Kaiser ihre Ehrerbietung. Den Kopf indes hielt sie nur leicht geneigt, in der Hoffnung, Isabella zu Gesicht bekommen. Da war sie.
Ein Raunen lief durch die Menge, und der Mann zu Annas linker Seite verbeugte sich so tief, dass sein ausgestellter Ärmel über den Boden schleifte. Trotz der Hitze und des langen Rittes wirkte die kaiserliche Braut aus der Entfernung wie eine Blüte im Mai.
“Isabella, Isabella, sie lebe hoch !”, riefen die Menschen. “Isabella, zeigt Euch auch zu dieser Seite!”
“Isabella …”
Wie ein Schweiß fieber breitete sich die Begeisterung aus, jeder, der sie sah, rief oder klatschte. Und endlich erhaschte auch Anna einen genaueren Blick auf die Braut. Ihr Pferd war ebenfalls mit Samt geschmückt, in Grün diesmal, mit Silber bestickt, und Isabellas Anmut verursachte Anna Übelkeit. Doch Kleinigkeiten, die die begeisterte Menge nicht bemerkte, schenkten Anna zumindest ein wenig Trost. Isabellas Kleid war viel zu dick - bei diesem Wetter war es sicher die Hölle, es tragen zu müssen. Außerdem, dachte sie gehässig, biss sich die Farbe des Gewandes mit der des Pferdebehanges.
Die Wächter bogen zu den Käfigen ein. Der Kaiser stieg ab, reichte seiner Braut die Hand und half ihr vom Pferd . Dann führte er sie unter den schützenden Stoffbahnen und dem Jubel der Gäste in sein Heim.
Die Dunkelheit in der Kammer tat wohl. Bis hierher war die Hitze noch nicht vorgedrungen. Das zarte Spiel eines Instrumentes erklang aus dem Nebenraum; klagend und zärtlich schien es auszudrücken, was Annas Herz so quälte.
Es klopfte. Anna sammelte sich und ging zur Tür.
“Du kommen, bringen Frau von Kaiser Kleid, ja?”
M´Ba. Sie hatte den Wächter nicht mehr gesehen, seit sie ihn so ange schrien hatte, aber seine Stimme klang freundlich. Anna atmete auf. Er schien ihr den Vorfall nicht übel zu nehmen.
“Ich komme.”
Unter M`Bas geduldigen Blicken suchte Anna ihr Werkzeug zusammen, vorsichtshalber auch Schnur und Heftgarn, zog die Gewänder behutsam von den Stangen und folgte M’Ba.
Isabella saß auf einem kostbar bestickten Polsterstuhl, das lange schwarze Haar mit einem goldenen Band aus der Stirn gehalten. Ohne die störende Farbe des Pferdeumhanges wirkte das Grün ihres Kleides edel und teuer. Der Ausschnitt war mit gestickten goldenen Ranken eingefasst, von roten Steinen durchsetzt, die wie saftige Johannisbeeren glänzten. Eine Ranke zog sich zwischen den üppigen Brüsten über den Leib und die Scham bis zum Saum des Gewandes, und die tief sitzende Schärpe um die Mitte betonte die fraulich breiten Hüften. Gut, dass Anna die Nähte offen gelassen hatte - wer auch immer die Maße genommen hatte, hatte zu fest angezogen. Anna verneigte sich vorsichtig, damit die Kleider nicht knitterten. Isabella mochte nicht viel älter sein als sie selbst.
Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte, legte die Engländerin den goldenen Spiegel aus der Hand und erhob sich.
“Du musst die Schneiderin sein.
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