Die Gewandschneiderin (German Edition)
ordentlichen Haufen Reisig, Zweige und größere Holzstücke beisammen, und Johann entzündete ein Feuer. Rasch nahm eine wohlige Wärme den Kampf gegen die herbstliche Kälte auf. Anna setzte sich abseits auf einen Baumstumpf.
„Komm ans Feuer, du zitterst ja!“, rief Johann.
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Dann eben nicht.“ Johann stemmte sich hoch, trat zum Wagen und kehrte mit einem der Beutel und einem kleinen Packen zurück. Als Anna den Proviant erblickte, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Trockenfleisch, Dörrobst und rote Äpfel verströmten einen lockenden Duft.
„Komm, hol dir etwas!“, lud der Mönch sie ein. „Du musst ja halb verhungert sein.“
Sie umrundete das Feuer in großem Abstand und lief im Bogen wieder auf Johann zu, der ihr das Essen hinhielt und sie dabei neugierig musterte. Anna nahm sich Fleisch und einen Apfel und ließ es sich schmecken.
„Warum meidest du das Feuer, und das bei dieser Kälte?“
Anna hob die Schultern. „Ich …“
Ein peitschendes Geräusch im Gebüsch ließ beide zusammenzucken.
„Was war das?“, wisperte Anna.
„Ich weiß es nicht”, raunte Johann. “Vielleicht Gilberts Leute? Sie werden dich suchen. Warte hier und rühr dich nicht von der Stelle!“
Mit erstaunlicher Behändigkeit verschwand der dicke Mönch im Gebüsch. Es knackte und raschelte, dann wurde es still.
Doch gleich darauf brach der Ordensbruder wie ein Schwein aus dem Unterholz hervor. Er lief zum Wagen und ergriff den Wanderstock.
„Nichts zu finden. Ich hätte schwören können, dass …“
In diesem Augenblick stürzten zwei Wegelagerer auf die Lichtung. Es waren Halbwüchsige, ein dunklerer, schon breit in den Schultern, der andere, mit mausbraunem Haar, noch schmal.
„Weg da, dann geschieht euch nichts!“ Der Dunklere richtete sich drohend vor Johann auf, derweil der andere auf den Wagen sprang und nach den Bündeln griff. Mit einem Satz war er wieder herunter und wollte an Johann vorbei zu seinem Kumpan rennen. Der Mönch nahm seinen Stock und hieb dem Älteren mit aller Kraft auf den Kopf. Der Mausbraune war flink wie ein Wiesel. Ohne sich um seinen Freund zu kümmern, flitzte er den Fahrweg neben der Lichtung entlang. Johann rannte hinter ihm her, den Stock drohend erhoben. Anna wandte sich dem Dunklen zu, der nach dem Niederschlag schon wieder sprungbereit am Boden hockte.
„Wag es nicht, mir zu folgen! Sonst - krhk !“ Der Räuber zog seinen schmutzigen Daumennagel eng am eigenen Hals vorbei, kam mit Schwung auf die Füße und verschwand im Gebüsch.
Anna tastete nach dem Leibgurt. Das schwere Ding war lästig, aber nun war sie froh, es stets bei sich getragen zu haben. Selbst wenn Johann den anderen nicht ergreifen sollte, wäre zumindest ein Teil des Geldes noch vorhanden, auch wenn ihre anderen Habseligkeiten und das Lehrgeld verloren wären.
Schwere Schritte waren zu hören. Es war der Mönch, und er hatte die Bündel!
„Johann, wie hast du das geschafft?“ Dankbar drückte sie seinen Arm, während er abermals keuchend nach Atem rang. „Danke. Das war wirklich mutig von dir. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell rennen kannst.“
„Ich auch nicht. Im Übrigen - nichts zu danken. Es wäre ja unverzeihlich gewesen, wenn die Bengel …“ Er brach ab, und sein Gesicht nahm einen verwunderten Ausdruck an. „Kleine, ich kann meinen Arm und mein Bein nicht mehr …“
Der schwere Mann sank zu Boden. Noch immer starrte er Anna aus weit aufgerissenen Augen an. Der Wanderstock entglitt seiner schlaffen Rechten.
Anna kauerte auf dem Boden nieder und griff nach seiner anderen Hand. Er umklammerte ihre schmalen Finger, bis sie die Zähne vor Schmerz zusammenbiss, doch sie zog die Hand nicht weg.
„Johann! Was hast du? Kann ich dir helfen? Bist du verletzt?“ Sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht zu schütteln . Er sollte dort nicht so liegen!
„Du kannst etwas tun. Kehr nicht nach Jever zurück! Gehorch deinem Vater und finde deine Tante. Versprich es mir!“ Er hustete.
Anna nickte nur kurz und versuchte verzweifelt, den Koloss in eine sitzende Haltung zu hieven. Doch was sie auch versuchte, er kippte immer wieder nach rechts um.
„Lass gut sein.“
„Aber wie soll ich dich denn auf den Wagen kriegen? Was, wenn die Halsabschneider wiederkommen und dich …“
„Du wirst es auch allein schaffen. Das Haus steht neben der Gerberei, fast am Ortseingang von hier aus …“ Er hustete wieder. „Lass mich einfach … Gott sei
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