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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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befand sich dicht unter dem Deckel, und er rang nach Luft. Die Männer zogen und vertäuten die nasse Kammer am Galgen. Wulf lehnte in der Ecke des Käfigs und keuchte.
Anna trat von einem Bein aufs andere. War es endlich vorbei? Er hatte überlebt - oder musste die Tür sich von selbst öffnen? Sie kroch einige Fußlängen aus dem Busch hervor, um besser sehen zu können. Dann überlegte sie es sich anders und schlängelte sich durch das Strauchwerk in die Deckung zurück.
„Kein eindeutiges Urteil! Er wird noch einmal getaucht!“, befahl Gilbert.
Diesmal waren die Männer von Anfang an behutsamer, und beim Hinunterlassen eckte der Käfig nirgends an. Wulf stand aufrecht und blickte nach unten auf das steigende Wasser. Er schien nicht mehr so heftig zu keuchen, soweit Anna das auf die Entfernung hin sehen konnte. Das Wasser reichte ihm schon wieder bis zu den Schultern.
Hol noch einmal tief Luft, dachte Anna noch, dann versank ihr Vater im herbstlich kalten Wasser der Graft. Wieder stiegen Blasen auf.
    Anna starrte den Ratsherr n an und ballte die Hände zu Fäusten. Jetzt, flehte sie in Gedanken. Gib das Zeichen! Wann hob er den Arm endlich wieder? Es dauerte viel zu lange - so lange konnte niemand die Luft anhalten, sie hatte es selbst versucht im Meer. Da zuckte sie zusammen. Eine schwere Hand hatte sich auf ihre Schulter gelegt.
„Hier steckst du also“, knarrte Johanns unverkennbare Stimme. „Ich habe dich überall gesucht.“
    Gott sei Dank, es war nur Johann ! Anna sah ihn nicht an, schob nur seine Hand von der Schulter. Da, der Ratsherr hatte den Arm gehoben. Mit starren Blicken suchte sie das Wasser ab, doch Wulf war nicht zu sehen. Aber er musste doch noch im Käfig sein!
    Sie wurde herumgerissen. „Hier hast du nichts verloren!“, zischte Johann. „Du solltest doch bei Rahardta warten!“
Anna befreite sich aus seinem Griff, um wieder sehen zu können. Johann wollte sie hindern, doch er war behängt mit drei Bündeln und hielt außerdem einen dicken Wanderstab umklammert. Sie wand sich in seinen Armen, bis sie den Käfig zu Gesicht bekam. Er war leer! Gott sei Dank! Doch halt! Der Käfig war nicht leer. Wulf lag grotesk zusammengesunken auf dem Boden des engen Behältnisses.
„Holt ihn heraus!“, schrie Anna. Sie sah noch, wie alle zu ihr herüberstarrten, dann wurde es dunkel.
Verschleppt
     
    Ihre Zunge war trocken und klebte ihr am Gaumen. Ein heftiger Stoß hob sie von der harten Unterlage und warf sie noch weniger sanft zurück.
„Au!“
Anna öffnete die Augen und fuhr zusammen. Obwohl es dämmerig war, schnitt ihr das Zwielicht durch den Kopf wie ein scharfes Messer. Wo war sie?
Sie wollte sich aufrichten, doch sie verhedderte sich, und ihr war speiübel. Da erst merkte sie, dass das Licht durch eine fadenscheinige Decke drang, in der sie sich verwickelt hatte. Sie strampelte die Decke fort, und das Licht stach ihr ungehindert in die Augen. Die Übelkeit wurde so schlimm, dass sie innehielt.
Nach einem letzten Ruck hörte das Rumpeln des Wagens auf. Erleichtert atmete Anna durch.
„Nun, endlich wach, Kleine?“
    Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie den großen Schatten, der sich wohltuend vor die Sonne schob, und die dazugehörige Stimme erkannte.
„Johann …“
„Geht es dir gut?“, fragte der Mönch. „Ich …“
Den Rest hörte sie nicht, ihr war etwas Wichtiges eingefallen, aber gleich darauf wieder entglitten. Sie biss sich auf die Lippen, und der Schmerz brachte die Erinnerung zurück. Sie umklammerte das Brett neben sich und versuchte sich hochzuziehen.
„Vater! O mein Gott, wo sind wir? Wir müssen zur Graft. Es geht ihm sicher schlecht!“, rief sie.
„Ruhig, Anna!“
    Johann wollte sie wieder auf die mit Decken gepolsterte Ladefläche des Fuhrwerkes drücken, doch Anna hielt sich krampfhaft an den Seitenlatten fest.
„Er ist tot. Sei vernünftig und lass los. Du musst liegen - ich habe vielleicht ein bisschen zu kräftig zugeschlagen.“
„Du hast mich geschlagen? Hilfe! Hiilfe!“
Beschwichtigend hob der Mönch die Hände. „Hör auf damit! Willst du, dass sie uns finden?“ Die Panik in Johanns Stimme brachte Anna zum Schweigen.
„Uns finden? Wer?“, fragte sie.
„Gilberts Männer. Nachdem er mit dem Baumeister fertig war, hat er seine Leute ausgeschickt, um dich zu suchen. Er will dich anklagen - wegen Hexerei.“
Anna sank in die Decken zurück und starrte den Mönch an. „Woher willst du wissen, dass er tot ist? Vielleicht ist er nur

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