Die Gewandschneiderin (German Edition)
Lehne am Kopfende – der wohl dem Vater vorbehalten war - und ein Fleckchen auf der Bank daneben.
„Hol dir den Schemel und setz dich dorthin!“, sagte Evphemia.
Anna schluckte. Der Schemel stand neben einer großen Truhe dicht am hell lodernden Feuer. Sie näherte sich achtsam, packte das Dreibein am äußersten Rand und setzte sich erleichtert auf den ihr zugewiesenen Platz. Inzwischen waren alle Schalen gefüllt. Evphemia holte einen abgenutzten Teller vom Bord, hielt den Kessel schräg und kratzte die Reste heraus.
„Hier. Konnte nicht wissen, dass Besuch kommt.“
„Danke“, murmelte Anna.
„Esst!“, forderte Evphemia die Kinder auf. Dann brach sie das Brot in Stücke und verteilte es. Kaum hatte Anna den ersten Löffel der wässrigen Suppe im Mund, erhob sich lautes Gebrüll.
„Das war mein Stück, gib es her!“
„Nein, es ist meins, du hast deins schon gegessen, frag Vors! Vors, Irmel hat ihrs doch gegessen, oder?“
„Lass mich in Ruhe mit dem Kinderkram, Sophie.“ Der Angesprochene wies schon die breiten Schultern eines jungen Mannes, aber noch keinen Bartwuchs auf. Als einziges der Kinder hatte er Haare rot wie Karottenbrei.
„Sophie, Irmel , ihr seid fertig. Ab aufs Lager!“
Obgleich Evphemias Stimme keinen Widerspruch duldete, stritten die Mädchen weiter. Inzwischen traten sie sich gegenseitig unter dem Tisch, denn Anna bekam einen Stoß gegen das Schienbein ab. Evphemia stand auf, langte über ihren Gast hinweg und zerrte beide Mädchen an den Ohren von der Bank.
„Ich werd euch helfen, nicht zu gehorchen …“, fauchte sie.
Kaum hatte die Mutter den Tisch verlassen, schnappte Beatke sich blitzgeschwind das Brot, um das die Schwestern gestritten hatten, und stopfte es als Ganzes in den Mund. Anna hatte die klägliche Suppenpfütze in ihrer Schüssel schnell aufgezehrt und räumte die leeren Schalen zusammen, wie sie es gewohnt war.
„Du … wie war dein Name? Anna, richtig? Komm mit!“ Evphemia nahm das einzige Talglicht und ließ die Kinder ungerührt im Schein des Feuers weiterstreiten.
Froh, dem Lärm für einen Augenblick zu entrinnen, folgte sie der Tante. Diese wandte sich jedoch nicht nach draußen. Im Flur gab es zur Linken und geradeaus zwei Türen, die Anna noch nicht bemerkt hatte. Das Haus hatte drei Räume!
„Wohin führen die anderen Türen?“, fragte sie zaghaft.
„Da“ – Evphemia deutete geradeaus - „geht es zu Maffrits Zwischenlager. Und der andere Raum ist eigentlich als Speisekammer gedacht, aber wir haben kaum etwas aufzubewahren, deshalb schläft Marie hier vorn.“
Sie öffnete die kleine Tür, und ein Verhau aus rohem Holz und eine finstere Kammer dahinter wurden sichtbar.
Evphemia und Maffrit
„Sie braucht kein Licht, sieht ja doch nichts“, murmelte Evphemia.
Anna schluckte, der Raum roch feucht und modrig.
„Geh hinein. Solange du hier bleiben musst, kannst du bei Marie schlafen. Und was ist nun eigentlich mit meinem Bruder?“, fragte die Tante.
Anna sa nk auf den Rand der niedrigen Bettstatt und kippte fast hintenüber - offensichtlich war die Strohschütte schon lange nicht aufgefüllt worden. Die Dunkelheit half ihr, Evphemia das Nötige zu erzählen. Zuerst stockend, dann immer flüssiger berichtete sie von Anhörung und Flucht. Gilberts Vergewaltigungsversuch ließ sie schamhaft aus.
„Wulf ein Brandstifter? Dass ich nicht lache … Wann holt er dich?“
„Er … ich weiß nicht. Vielleicht ist er durch das Untertauchen so krank geworden, dass er erst einmal gar nicht kommt.“ Die Bestürzung auf dem Gesicht der Tante war auch im schwachen Schein der Öllampe deutlich zu erkennen.
„Ich kann dich nicht auch noch durchfüttern, es reicht kaum für meine eigenen Kinder …“
„Das musst du nicht, Vater hat mir Geld gegeben.“ Anna zog den Leibgurt mit den Pfennigen hervor und reichte ihn Evphemia.
Die wog ihn in der Hand. „Nun, unter diesen Umständen kannst du erst einmal bleiben.“ Evphemia drückte das kostbare Behältnis fest an ihr zerschlissenes Kleid. „Hast du noch mehr Münzen?“
Der Blick der Tante war irgendwie … lauernd. Vielleicht sollte sie ihr nichts von dem Lehrgeld erzählen. Sie würde es sowieso erst benötigen, wenn sie eine Stelle gefunden hatte.
„Nein.“
„Nun gut. Hast du eine Decke?“
Anna nickte zögernd. Das fadenscheinige alte Ding hielt sicherlich kaum warm, aber fürs Erste musste es reichen.
„Dann bleib gleich hier, Marie bringt dir die Sachen in die Kammer.
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