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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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ersten Mal sah Anna Ragnhild lächeln. Doch so plötzlich, wie sie gekommen war, rauschte die fromme Frau kurz darauf wieder zur Tür hinaus. Anna atmete auf.
„Um Haaresbreite …“, murmelte Theodora.
„ …hätte sie uns erwischt“, kicherte Anna mit aufgesetzter Fröhlichkeit.
„Ich glaube, für heute ist es genug.“ Theodora räumte die halb fertige Mitra auf ein leeres Regalbrett.
Jäh flog die Tür noch einmal auf, und Anna fuhr so heftig zusammen, dass der Brief aus ihrer Hand zu Boden trudelte. „Eines noch, Theodora. Morgen kommt der Tuchhändler selbst, um die Lager aufzufüllen, nach der Terz. Schick jemanden an die kleine Pforte, der ihn abholt.“
So überraschend, wie sie gekommen war, war Ragnhild auch schon wieder verschwunden. Annas Herz raste. Was für ein Tag!
    Anna be dauerte es nicht, den Pfortendienst übernommen zu haben. Es war angenehm, in der Sonne zu sitzen, und Bär sprang, so weit es die Leine zuließ, hierhin und dorthin und nahm die Stöckchen auf, die sie ihm zuwarf. Die Glocken des letzten Stundengebetes waren schon seit einer ganzen Weile verklungen, als sie endlich Räder heranrollen hörte. Der Tuchhändler! Anna sollte ihm den Weg weisen, denn sie kannte sich inzwischen in den Klostergängen bestens aus. Vielleicht konnte sie einen Blick auf seine Stoffschätze erhaschen? Das Fuhrwerk hielt in gebührendem Abstand, und der Händler, von schlankem Wuchs und gut gekleidet, stieg vom Bock und kam auf sie zu. Sie senkte den Blick, denn er war ein Mann, und mit Männern wollte sie nichts zu tun haben.
„Ist dies die kleine Pforte?“, fragte er, als er vor ihr stand.
„Ja. Bist du der Tuchhändler? Dann geleite ich dich zu Schwester Theodora.“
"Was für ein hübsches Hundchen!"
Der Händler bückte sich, um Bär zu streicheln. Er sah nett aus, vielleicht war er ein so feiner Kerl wie Tankred.
Bär zerrte an seinem Lederband. Als er nicht freikam, knurrte er und fletschte die Zähne. Hastig gab Anna die Leine frei, und Bär lief davon. Was hatte er nur? So hatte er sich bisher nur einmal verhalten. Anna wandte sich um, eilte durch die offene Tür und überließ es dem Fremden, ihr zu folgen.
    Ballen um Ballen hatte Theodora nun schon begutachtet. Immer wieder strich die Vorsteherin der Nähstube mit den Fingern über die Stoffe, doch sie schien sich nicht recht entscheiden zu können. Anna hätte ihr gern geholfen - der Leinenstoff in zartem Grün war von guter Qualität, während das rote Manteltuch aus Wolle nicht besonders haltbar aussah, das erkannte sie auf den ersten Blick. Als Altartuch verwendet, würde es sicher schnell durchscheuern. Doch Theodora legte den minderwertigen Wollstoff zu den Ballen, die sie zu erwerben gedachte. Anna konnte nicht mehr an sich halten und trat näher, bis sie die Gewebe befühlen konnte. Das grüne war wirklich gut gearbeitet; sie schob den Ballen einige Zoll auf Theodora zu.
Höflich trat der Tuchhändler zur Seite, und Anna nahm seinen Platz am Tisch ein. Der rote Stoff war schlecht, sie hatte es gewusst. Die Hand auf dem Wollstoff, warf Anna der Ordensschwester einen langen Blick zu und schüttelte den Kopf. Theodora schob den Ballen hastig wieder auf die andere Seite, der Händler seufzte.
"Gefällt Euch die Farbe nun doch nicht?", fragte er Theodora.
"Der Stoff hat keine Leinenkette“, antwortete Anna an deren Stelle. „Er reibt sich schnell durch. Hast du etwas Haltbareres?"
Der Händler zog Ballen um Ballen aus dem Stapel am Ende des Tisches und schob ihn jeweils in Annas Richtung, wobei er Theodora fragend musterte. Die nickte. Prüfend nahm Anna die Stoffe zwischen die Fingerspitzen. Jeder einzelne Griff verriet ihr, wie der Stoff beschaffen war. So war es schon immer gewesen. Material, Haltbarkeit, die Eignung für die Verwendung - ein Griff, und Anna wusste Bescheid. Schnell hatte sie die Spreu vom Weizen getrennt und Theodora die hochwertigsten Ballen zugeteilt.
"Vielleicht magst du prüfen, welche Farben sich für den Vaterabt und welche für die Altartücher eignen", bat sie die Nonne. Das war eine Aufgabe nach Theodoras Geschmack. Fröhlich hielt sie die Stoffe ins Licht und schob die Ballen, die ihr gefielen, auf die Seite.
"Soll ich auch die anderen Qualitäten vorlegen?", fragte der Händler. Teils wirkte er enttäuscht, die schlechteren Stoffe nicht verkaufen zu können, teils schien er froh, dass sich endlich ein Kaufabschluss anbahnte. Theodora nickte eifrig, und die schmalen, makellos sauberen

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