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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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inzwischen war es dunkel geworden. Eine Reihe von Laternen bildete einen langen Lichtbogen, und das Geräusch der Hufe und Räder klang seltsam hohl. Endlich begriff sie: Der Wagen fuhr über eine Brücke. Allmählich wurde das Gerüttel sanfter und endete schließlich ganz. Der Fahrer wandte sich um.
    "Wir wären dann in Trier", murmelte er.
    " Trag die Truhen hinein, ich kümmere mich nachher um die Pferde." Heinz stieg aus und wandte sich an Anna.
    "Komm. Hier wohnen wir. Die Unterkunft ist sauber, ich war schon oft hier."
    Trotz des milden Abends zog Anna fröstelnd die Schultern hoch. Heinz war schon vorangegangen, also ergriff sie ihr Bündel und folgte ihm.
    Die Herberge lag am Fluss ufer und war gewiss so geräumig wie Heinz’ Haus in Köln. Die Sträucher im Garten erfüllten die Nacht mit ihrem Duft und leuchteten so hell, dass sie auch im Dunkeln gut auszumachen waren. Volle und leere Fässer stapelten sich zu beiden Seiten der Treppe - offenbar stiegen hier viele Gäste ab. Die Fenster waren freundlich erhellt; zitternd spiegelten sich die Lichtflecken im dunkel und träge dahinfließenden Wasser. Anna stieg hinter Heinz die hölzernen Stufen hoch und folgte ihm durch eine breite Tür. Stimmengemurmel und Gelächter schlugen ihr entgegen, zusammen mit einem Schwall warmer Kochdünste. Doch Anna verspürte keinen Hunger. Noch immer war ihr unwohl bei dem Gedanken an das Gespräch im Wagen. Wie hatte Heinz seine Worte nur gemeint?
    Heinz war vor einem Mann stehen geblieben, der mit seiner Leibesfülle die Ausmaße der Eingangstür zu rechtfertigen schien. Einen Lappen in der einen, mehrere Krüge in der anderen Hand, wischte er sich über die schweißnasse Stirn, dann nickte er, wies in eine Sitzecke und fuhr mit dem gleichen Tuch über die Tischplatte.
    "Schön, schön, Herr Heinz. Neue Tuche kaufen? Gute Geschäfte machen? Ist schon recht, dass Ihr wieder zu mir kommt. Ich mach Euch gleich das Zimmer fertig. Wieder das besondere Zimmer, eh? Wer ist denn die? Eine neue Näherin?"
    "Danke, Wieland. Ja, das gleiche Zimmer wie immer. Wir nehmen auch zwei mal Essen und Bier."
    "Versteh e." Der Herbergsvater zwinkerte. "Kommt sofort."
    Anna biss sich auf die Unterlippe. Heinz hatte nicht einmal erwähnt, dass sie verheiratet waren. Zwar ging es diesen Kerl nichts an, aber dass der sie für irgendeine Näherin hielt, Heinz kannte, und ihnen nur eine Kammer anbot, war ein starkes Stück. Und Heinz hatte ihn nicht in die Schranken gewiesen. Anna blickte nicht einmal auf, als das Essen kam. Die Speisen lockten sie wenig. Sie wollte nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Hatte sie vorhin im Wagen noch versucht, das lastende Schweigen zu brechen, war es ihr nun willkommen.
    D ie Kammer war schlicht, schien aber sauber zu sein. Grobe Bohlen bildeten die Wände - ein Steinhaus war die Herberge natürlich nicht. Eine Bettstatt in einer Nische, ein Tisch und zwei Stühle. Einzig die offene Feuerstelle war gemauert, und das kleine Feuer verbreitete wohlige Wärme. Eine abgenutzte Truhe stand in der Ecke, und für größere Gepäckstücke gab es sogar ein Kämmerchen, das sich verriegeln ließ. Der Fuhrmann hatte das Reisegepäck mitten im Raum abgestellt, und Heinz schob die schweren Stücke zur Seite, um ein wenig mehr Platz zu schaffen.
    "Willst du die schwereren Truhen nicht in den Verschlag stellen?", fragte Anna, um überhaupt etwas zu sagen.
    Heinz musterte sie, als warte er auf etwas, und schüttelte den Kopf.
    " Sie bleiben hier - es lohnt nicht."
    Heinz entzündete alle Lichter in der Kammer, es waren mehr als ein halbes Dutzend. Dann öffnete er eine der Reisetruhen, entnahm ihr ein Bündel und einen Beutel. Beides legte er vor Anna auf den Tisch.
    "Ich habe noch zu tun. Bevor die Verkäufe beginnen, muss ich mich über die gerade üblichen Preise in Trier erkundigen." Er wies auf den Beutel. "Mein bester Umhang! Dazu Nadel und Faden. Das Tuch ist zerrissen und muss bis morgen genäht sein. Ich brauche den Umhang für die Abschlüsse. Schaffst du das?"
    Wieder dieser Blick. Anna frö stelte in der warmen Stube.
    "Ich w ill es versuchen."
    "Gut." Kein weiteres Wort, keine freundliche Geste. Die Tür schlug zu, dumpfe Schritte auf altem Holz entfernten sich, dann war sie allein mit ihren Gedanken.
    Wie sollte sie Heinz von ihrer Lauterkeit überzeugen? Seit sie in sein Haus gekommen war, war es seiner Mutter stetig schlechter gegangen – und dann war sie am Tag der Hochzeit gestorben. Er musste doch denken,

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