Die Gewandschneiderin (German Edition)
..."
Anna traute ihren Ohren kaum. Da war er , der freundliche Ton, den sie so vermisste, und er sprach zu …Helene?
"Das ist doch selbstverständlich - nach allem, was du durchgemacht hast."
Die Besucherin strich sich über das dünne Haar und hielt Anna ihren Umhang hin. Anna starrte die Frau verständnislos an.
"Nun nimm schon, dummes Ding ! Soll ich hier noch länger warten?"
Verdattert nahm Anna den Mantel entgegen, während Helene Heinz in dessen Arbeitszimmer folgte und die Tür hinter sich schloss.
Wohin mit dem Umhang? , fragte sich Anna. Diese Frau war doch auf Marthas Beerdigung gewesen. Helene? Wo hatte sie den Namen schon einmal gehört? Sie faltete den Stoff ordentlich zusammen und legte ihn auf einen Stuhl. Ob zu hören war, was Heinz und die Frau miteinander sprachen? Anna legte ein Ohr an die Tür. Wenn er sie hier ertappte, würde er sehr zornig werden, aber das nahm sie in Kauf. Er hatte Bär getreten!
"...keinen Tag länger aus. Dafür brauche ich jemanden, dem ich vertraue."
Die Besucherin schien zu antworten, doch Anna hörte nur Gemurmel. Auch als sie das Ohr noch fester ans Holz presste, war nichts zu vernehmen.
Erst als Heinz wieder sprach, drangen seine Worte klar durch die Tür. "Ich danke dir. Wenn ich zurück bin, sprechen wir über alles andere."
Schritte näherten sich der Tür, und Anna schlich sich zur Küche zurück. Gerade noch rechtzeitig. Sie hatte die Tür erst halb geschlossen, als Helene aus dem Arbeitszimmer stolzierte, nach ihrem Umhang griff und einen langen Blick in die Runde warf. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich halb zu Heinz um.
"Hier ist einiges zu tun."
"Lass uns bitte später alles bereden", raunte er.
Helene sah ihn an und wollte weitersprechen, doch Heinz schüttelte den Kopf und öffnete ihr die Tür.
"Wie du willst. Gute Nacht" , sagte die späte Besucherin und verließ des Haus.
"Gute Nacht, Helene."
Heinz schloss die Tür und wandte sich um. Anna wartete, dass er etwas sagen würde, doch er ging an der halb offenen Tür vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
Bald darauf folgte Fanny dem Klingeln aus Heinz’ Arbeitszimmer, und was Anna in den letzten Tagen so oft erhofft und zugleich gefürchtet hatte, traf ein.
"Er will mit dir reden." Fanny zupfte Anna eine Fluse vom Kleid. "Bedräng ihn nicht, er wird sich schon wieder fangen."
Anna antwortete nicht. Was hätte sie Fanny auch sagen sollen? Das s es ihr inzwischen einerlei war, wie es mit Heinz weiterging? Dass sie einen Menschen, der ihren Hund trat, am liebsten gar nicht mehr sehen wollte? So schüttelte sie nur den Kopf.
Die Tür stand einen Spalt breit offen, und Anna klopfte nicht, sondern trat einfach ein. Heinz stand am Fenster, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und sprach, als wäre sie nicht im Raum.
"Es wird Zeit für mich, nach Trier aufzubrechen. Des Kaisers bevorstehende Ankunft versetzt alle in helle Aufregung. Es wird Tuch gebraucht, nur das beste. Ich muss also reisen."
Hätte sich Anna noch vor K urzem gefreut, ihn sprechen zu hören, spürte sie nun nichts als dumpfe Leere. Sollte er doch verreisen - sie wäre froh, ihn eine Weile nicht sehen zu müssen.
Heinz wandte sich so unvermittelt um, dass Anna zusammenzuckte. "Du wirst mich begleiten", ordnete er an.
Warum? Erst mied er sie tagelang, und auf einmal wollte er sie auf seine Geschäftsreise mitnehmen? Ihr schauderte bei dem Gedanken.
"Wenn du ge stattest, bliebe ich lieber in Köln. Es ist ... mir ist nicht nach Reisen zumute. Lass mich doch hier im Haus nach dem Rechten sehen", schlug sie vor.
Der harte Ausdruck auf Heinz ’ Gesicht wich einem Lächeln.
"Anna , ich weiß, ich war nicht ich selbst in der letzten Zeit. Vielleicht hilft uns die Reise nach Trier, alles wieder … in Ordnung zu bringen. Pack deine Sachen, wir brechen morgen früh auf."
Widerwillig fügte sich Anna. Er war ihr Ehemann - was blieb ihr anderes übrig? Aber in dieser Nacht, mit der gepackten Truhe und dem Reisebeutel am Fußende des Bettes in der Gästekammer, die sie immer noch bewohnte, schlichen sich Zweifel wie dunkle Schatten in ihre Träume. Als sie endlich Schlaf fand, schreckte sie immer wieder wimmernd hoch.
Es war ein wundervoller, sonniger Morgen, der aller Bedenken spottete. Das Fuhrwerk stand schon an der Treppe, und die Knechte hatten die Reisekisten und Stoffballen sicher verstaut. Fanny drückte Anna ein verknotetes Tuch mit warmem Inhalt in die Hand, von dem der würzige Geruch
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