Die Gewandschneiderin (German Edition)
nach frischem Brot ausging.
"Hier , Kind, frisches Brot und Käse, auch Schinken ist dabei."
"Ach , Fanny, danke! Ich … mir ist immer noch nicht wohl dabei ..." Sie brach ab, denn Heinz kam die Treppe herunter, einen letzten Ballen und seine Kurzwarentasche unter dem Arm. Bär knurrte, sobald er Heinz entdeckte.
"D er kommt nicht mit." Heinz wies auf den Hund. "Er ist inzwischen zu groß. Außerdem verschmutzt er mir die teuren Stoffe."
Anna betrachtete erst Bär, dann den Wagen. Es stimmte schon, der Hund war inzwischen groß geworden. Vorn konnte er nicht mitfahren, und er … nun ja, er roch nach Hund. Vielleicht war es wirklich besser, wenn er in dem voll beladenen Wagen nicht an den Stoffballen kratzte, weil er hinunter wollte, sonst trat ihn Heinz am Ende wieder.
Schweren Her zens übergab Anna Fanny die Leine.
Die Magd drückte ihr die Hand. "Ich werde ihn füttern", versprach sie.
Anna strich Bär über das Fell. "Bis bald, mein Kleiner", flüsterte sie und stieg auf den Sitz.
Der Wagen war gut gepolstert, und doch rutschte Anna eine ganze Weile hin und her, bis sie es sich halbwegs behaglich gemacht hatte. Heinz rutschte nicht herum. Mit geradem Rücken und übereinandergeschlagenen Beinen saß er an das Seitenbrett gepresst und sah überallhin, nur nicht zu ihr herüber. Die Häuser der Webergasse rumpelten vorbei, und Anna beugte sich vor, um einen besseren Blick auf den Waidmarkt zu haben. Stand um Stand reihte sich aneinander, die Pflanzen waren ordentlich auf Leinen gespannt, fertige Tinkturen sauber in Tongefäße abgefüllt und aufgereiht. Zu Annas Bedauern ging es gleich darauf links ab, dem Blaubach folgend. Sie staunte wieder einmal über die Größe dieser Stadt. So viele Häuser. Menschen mit Schafen am Strick oder Hühnern in Körben kreuzten ihren Weg. Schließlich erreichten sie den Wall. Wie lange war es her, seit sie in Köln angekommen war? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Die Straße beschrieb eine Biegung, und dann waren sie auf dem Land. Nebel waberte über den Wiesen. Eine Weile betrachtete Anna noch die Landschaft, dann wurde sie müde, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Ein Schlagloch, tiefer als die anderen, r iss sie aus dem leichten Schlaf. Sie blickte zur Seite. Heinz hatte die Augen geschlossen, sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig.
"Heinz?" Als keine Antwort kam, betrachtete Anna ihren Mann genauer. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, und eine düstere Falte stand auf der hohen Stirn. Der Tod der Mutter hatte ihm zugesetzt. War sie gestern noch wütend auf ihn gewesen, weil er Bär getreten hatte, keimte nun Mitgefühl in ihr auf. Sicher war er nicht ganz bei Sinnen gewesen. Eine neue Bodenwelle schüttelte die Insassen durcheinander. Heinz’ Kopf sank auf die Seite, er runzelte im Schlaf die Stirn und stöhnte. Vielleicht träumte er schlecht. Sie würde ihn wecken.
Sie berührte ihn sacht am Arm und rief leise seinen Namen. Er zuckte nicht zusammen, er wirkte auch nicht verwirrt. Er öffnete nur die Augen und hob den Kopf.
"Du hast wohl schlecht geträumt ...", entschuldigte sie sich.
"Schon gut. Ich bin lieber wach." Er musterte sie schweigend unter halb geschlossenen Lidern. Die Stille wurde ihr unangenehm - sie waren doch gerade auf einem guten Weg zueinander gewesen. Sollte sie das klärende Gespräch fortsetzen?
"Ich bin froh, dass wir wieder miteinander reden. Ich hatte schon Sorge" - sie schluckte -, "du könntest mir die Schuld an allem geben."
Heinz richtete sich auf und starrte ihr ins Gesicht. "Bist du denn schuld?", fragte er.
Anna schrak zusammen . Was wollte er damit sagen?
"N … nein, natürlich nicht. Ich war doch nicht einmal in der Nähe, als … als sie ..."
"Nun, wenn dein Verhalten immer so tadellos ist, hast du nichts zu befürchten." Er lehnte sich zurück. "Sei unbesorgt: Es ist nicht meine Aufgabe zu richten. Gott wird entscheiden, wer ohne Fehl war oder wer schuldig ist. Und sich damit die Hölle verdient."
Er wandte den Kopf und blickte wieder über das weite Land, ruhig und gelassen, als hätte er nicht gerade über die Hölle und ihre Qualen gesprochen. Anna grauste es. Die Landschaft verschwamm vor ihren Augen zu braungrünen Flecken. Ihr war kalt, und am liebsten hätte sie geweint, aber das traute sie sich nicht in Heinz’ Gegenwart.
Domschatten
Die Fahrt verlief offenbar wieder über gepflasterte Straßen. Anna versuchte ihre Umgebung genauer zu betrachten, sah aber nur wenig, denn
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