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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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aufgerissenen Augen an, dann schüttelte sie den Kopf.
    "Kindchen, du bist wahrlich nicht von hier. Spierl ist nicht irgendein Schneider, er ist der Schneider. So feine Gewänder schneidert er, dass er für Könige … ach, was red ich … für den Kaiser schneidern darf."
    Anna stand der Mund offen. Erlaubte sich Hannah einen Spaß mit ihr? Verwirrt sah sie sich noch einmal um - kein Heinz in Sicht.
    "Du glaubst mir nicht? “, ereiferte sich Hannah und stemmte die Hände in die Hüften. „Mein Sohn hat es mir erzählt. Spierl schneidert die Hochzeitsgewänder für Friedrich und Isabella. Mein Sohn muss es wissen - er arbeitet doch für den Meister."
    Anna hob beschwichtigend die Hände . "Doch, doch, ich glaube dir. Wo wohnt denn Meister Spierl?"
    "Gleich hier rechts und dann die Gasse entlang. Weit ist es nicht. Das Haus ist … nun ja … anders als die anderen. Du wirst schon sehen, was ich meine."
    Ein Mann rempelte Anna an. Sie fuhr zusammen und ging auf Abstand, doch ihre Sorge war unbegründet - es war nicht Heinz.
    "Entschuldige" , murmelte er. "Gib mir vier Brote und einen Sack Zwiebeln, Frau", wandte er sich dann an Hannah.
    Während die Händlerin ihm das Gewünschte reichte, sah Anna sich erneut um. Der Platz hatte sich gefüllt, und es war nicht mehr so einfach, die Menschenmenge zu überblicken. Da hieß es, sich sputen und dem Trubel entkommen. Sie brach ein Stück von dem Brot ab, es schmeckte köstlich. Frisch gebacken und nicht zu dunkel. Der Käufer zog endlich weiter.
    Hannah beugte sich zu Anna herüber. "Der alte Spierl ist ein bisschen … seltsam. Bleib freundlich und hartnäckig, dann wird was draus."
    "Danke! Das Brot ist wirklich gut" , antwortete Anna.
    "Ich wei ß", bestätigte Hannah stolz, aber ihr war anzusehen, dass das Lob sie freute. Sie nahm eine Rübe.
    "Nimm die mit und sag, dass Hannah dich schickt. Vielleicht lässt er dich dann eher rein."
    Anna nickte freundlich zum Dank und machte sich auf den Weg. Erst einmal in die Richtung, die Hannah ihr gewiesen hatte, wohin auch sonst? Rechts vorbei am Marktkreuz, immer geradeaus. Sie brauchte eine Weile, bis sie begriff, wo sie sich befand. Es war die Gasse, durch die sie in der Nacht gelaufen war.
    Ihr stockte der Fuß. Wollte sie wirklich weitergehen? War nicht jeder Schritt in Richtung der Herberge ein Schritt auf den Scheiterhaufen zu? Sie drückte sich in den Schatten der Häuser, die hier dicht an dicht standen. Von Heinz war immer noch nichts zu sehen, auch nichts von den Schergen des Rates. Keiner der Menschen, die geschäftig über das prächtige Pflaster eilten, schien sie zu beachten. Anna blickte zurück zum Markt. Ob sie bei Hannah aushelfen konnte? Aber was konnte sie? Brot backen am offenen Ofen? Sie schüttelte sich. Sie wollte schneidern. Oder zumindest nähen. Ein tiefer Seufzer, dann stand ihr Entschluss fest: Sie würde diese Gasse entlanggehen, bis sie das Haus des Gewandschneiders gefunden hatte, selbst wenn sie dabei bis auf Rufweite an die Herberge herankam.
     
    Wo war die Schneiderwerkstatt bloß zu finden? Die Abzweigung in Richtung Herberge kam bedenklich näher. Endlich war Anna am Ziel - hier schien sie richtig zu sein. Ein Haus hob sich deutlich von den anderen ab. In der letzten Nacht war sie so aufgelöst gewesen, dass es ihr nicht aufgefallen war. Am helllichten Tag hingegen stach es ins Auge wie ein Ferkel im Hühnerstall. Gleich einem Turm erstreckte es sich eher in die Höhe als in die Breite. Der untere Teil wirkte irgendwie blind. Anna verschlug es den Atem - das Gebäude hatte keinen Eingang.
    Sie schlich an der Fassade entlang. Vielleicht gelangte man von der Seite ins Treppenhaus? Nein, ohne Abstand war ein kleineres Holzhaus so dicht angebaut, dass keine Hand dazwischenpasste. Anna huschte an den Mauern entlang zur anderen Seite. Dort das Gleiche! Vielleicht in der Gasse dahinter? Der Menschenstrom ringsum wurde immer dichter. Die Sonne suchte sich ihren Weg von den hohen Dächern herab bis zum Grund der Gasse und trocknete das ausgeschüttete Waschwasser vor den Eingangstüren. Schon so spät? Sie musste endlich einen Unterschlupf finden. Doch halt, was war das? Anna blinzelte abermals an der Fassade des Hauses hinauf, um den Stand der Sonne zu bestimmen. Dort, rechts neben den gemauerten Bogen, das war kein weiteres Fenster, das war eine Tür!
    "Die Zugtreppe. We r zum Meister will, kommt nur über die Zugtreppe hinauf." Anna fuhr herum. Erst als sie ein Mädchen mit ausgestrecktem Arm

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