Die Giftköchin
erzählt hatte, von denen sie nichts begriff: daß die Kommission irgendwo in Inkilä Verteidigungsanlagen inspiziert hatte, gepanzerte G e schützstände und bombensichere Unterstände, dort sollten 47-Milimeter-Schiffskanonen des Typs Obuhov installiert werden. Rainer selbst, als junger, refor m freundlicher Offizier, war mehr für die Zwölf-Millimeter-Maschinengewehre des Typs Vickers gewesen. Deren Feuerkraft sei bedeutend stärker als die der veralteten Obuhov-Kanonen. Rainer hatte Linnea beschworen, über diese strenggeheimen militärischen Pläne unb e dingt Stillschweigen zu bewahren. In den dichtbelaubten Gassen von Terijoki war es Linnea nicht schwergefallen, alles nur Erdenkliche zu versprechen.
Damals hatte Linnea gedacht, rede du nur, Soldat, deine Militärgeheimnisse müssen mich sowieso nicht interessieren, doch später hatte sie gemerkt, daß dies ein Irrtum war. Die Männer redeten immer über ihren Beruf. Ist der Mann Soldat, ereifert er sich über Truppen und Waffen, ist er ein Dichter, schwätzt er über Dich t kunst und liest seine eigenen Gedichte vor, und ist er Arzt, so wie Jaakko, beschreibt er schreckliche Kran k heiten und referiert über deren Heilung, so als wären die tödlichen Leiden bedauernswerter Patienten ein beso n ders fesselndes Gesprächsthema.
Auf Grund dieser männlichen Eigenschaften jede n falls hatte sich Linnea während ihrer Ehe recht umfan g reiche militärische Kenntnisse angeeignet. Anfangs waren es Dinge gewesen, mit denen sich die niederen Offiziersgrade beschäftigten, später immer kompliziert e re militärische Strategien, sogar in einem Maße, daß Linnea manchmal dachte, sie beherrsche die Militärwi s senschaften fast ebenso perfekt wie ein Major des Gen e ralstabs.
Der junge Leutnant war so rührend ernst und so b e geistert von allem, was mit dem Töten zusammenhing, daß Linnea eine fast mütterliche Zuneigung zu ihm gespürt hatte. Außerdem war Rainer in seiner Uniform eigentlich ein recht gutaussehender Mann gewesen. Ohne Kleidung hatte sich der Eindruck rasch verflüc h tigt. Als sie gemeinsam im Meer gebadet hatten, hatte Linnea den nackten Rainer betrachtet; seltsam, wie alltäglich die Männer ohne Uniform aussahen. Aber nach dem Baden hatten sie sich beide von Sonne und Wind trocknen lassen, und Linnea hatte sich gefragt, ob sie diesen Leutnant nicht trotzdem heiraten sollte.
Ach, wie der kühle Seewind die Haut nach dem Bad im Salzwasser erfrischte! Linnea hätte mit ihrem Leu t nant bis zum Dunkelwerden im Sand liegen mögen, doch seine Schwester, die sich ebenfalls im Badeort aufhielt, war jedesmal erschienen und hatte vorgeschl a gen, in den Pavillon oder in die Villa oder ins Hotel zu gehen. Linnea fand, Rainers Schwester Elsa, damals noch Elsa Ravaska, sei ihr Unglücksbringer gewesen gleich von Anfang an. Ein nervenschwaches und ve r drehtes Mädchen, dumm und unbeholfen, das dann gegen Ende des Krieges völlig die Nerven verlor und nie wieder ganz in Ordnung kam. Trotzdem kriegte sie es auf ihre alten Tage fertig, einen nichtsnutzigen Kerl, irgendeinen unbedeutenden Nyyssönen, zu heiraten und mit ihm auch noch einen Sohn in die Welt zu setzen, so eine Verrücktheit. Kauko wurde im Jahre 1958 geboren, Elsa war damals schon über vierzig. Linnea versuchte, genauer zu rechnen: Elsa war sechs Jahre jünger als sie selbst, ja, bei Kaukos Geburt war Elsa knapp über vierzig gewesen. Natürlich hatte ein Kaiserschnitt g e macht werden müssen. Das hatte Elsa weiter g e schwächt, sowohl physisch als auch psychisch. Die verschiedensten Komplikationen waren aufgetreten. Eigentlich brauchte man sich darüber nicht zu wu n dern, da es sich bei dem Ankömmling um Kauko Nyy s sönen gehandelt hatte.
Linnea erwachte aus ihren Erinnerungen und kehrte in die rauhe Wirklichkeit zurück. Sie holte ihre Kosm e tiktasche hervor und rieb sich den Körper mit einer dünnen Schicht Feuchtigkeitscreme ein, sprühte an den entscheidenden Stellen ein wenig Parfüm auf und zog dann Unterwäsche und darüber ein hellblaues Kostüm an. Sie massierte sich Balsam in ihr dünnes Haar und irisierte es dann so, daß es ihr offen auf die Schultern fiel. Zum Schluß kümmerte sie sich um ihr Gesicht: Zuunterst kam ein transparentes Make-up, dann eine dünne Schicht Transparentpuder und auf Wangen und Stirn eine Spur Rouge in der Farbe Himbeere. Für die Augenlider verwendete sie bläulichen Lidschatten, a n schließend lackierte sie ihre Nägel und betonte den Mund mit
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