Die Giftköchin
ihrem weinenden und sie tröstenden Enkel, zum Grab eines nahen Angehörigen unterwegs war, beide waren von Schmerz überwältigt, so wie es in einem Todesfall zu sein pflegt.
Linnea trocknete sich empört ihre Tränen.
Sie kamen an einem Grabstein aus rotem Granit vo r bei, der Linnea bekannt war, denn unter ihm ruhte ein gewisser, nach dem Krieg an Tuberkulose verstorbener Hauptmann Sjöström. Linnea errötete bei der Erinn e rung daran, was sie während der Phase des Stellung s krieges mit dem jungen Sjöström in Schlüsselburg getrieben hatte.
Linnea klagte über ihre müden Füße, sie müsse zw i schendurch ausruhen. Pertti Lahtela reagierte gereizt und sagte, zur Eerikstraße sei es nicht mehr weit. Bald sei man in Lapinlahti, und von dort gelange man über die Ruoholahtistraße ans Ziel. Linnea hörte jedoch nicht auf zu klagen, so daß Lahtela schließlich knurrend einer kurzen Ruhepause auf der Friedhofsbank zustimmte.
Linnea wischte den Sitz ab, plapperte darüber, wie sehr die Tauben alles beschmutzten. Pertti Lahtela wollte sich den Hosenboden seiner Jeans nicht mit Taubendreck beschmieren, sein Blick fiel auf den Pel z muff in Linneas Händen, und er befahl der alten Frau, ihm diesen als Unterlage hinzulegen. Linnea erschrak: Sie hielt im Inneren des Muffs die Giftspritze bereit, wo sollte sie jetzt so schnell damit hin? So geriet der Muff mitsamt der Injektionsnadel auf die Bank. Pertti Lahtela setzte sich auf das Pelzkissen, die dünne Nadel bohrte sich in sein Hinterteil, er spürte in seiner Backe einen scharfen Stich und fragte sich verwundert, ob sich in dem Fellwisch womöglich eine verdammte Schnalle verbarg. Und was, zum Teufel, fummelte die Alte die ganze Zeit da hinten herum?
Plötzlich spürte Lahtela, wie etwas Kaltes und Bre n nendes in seinen Hintern floß, seine Beine wurden schlaff, in seinem Gehirn begann es zu rauschen, ung e fähr so wie nach dem Delikatessenschmaus. Er sprang von der Bank hoch und tastete nach seinem Hintern, bekam die geleerte Injektionsspritze zu fassen, und da begriff er, was geschehen war.
Linnea Ravaska trippelte eilig weg und rettete sich hinter einen großen Grabstein. Pertti Lahtela brüllte und versuchte, ihr zu folgen, aber die Schlaffheit, die sich seiner Glieder bemächtigt hatte, verhinderte weitere Bewegungen. Er suchte an der Rückenlehne der Frie d hofsbank Halt, sein Kopf fiel nach vorn, die Augen wu r den blind, er rutschte mit den Knien auf den Sitz. Aus seinem Mund drang Schaum, dann sackte er lautlos auf der Bank zusammen. Seine Glieder zuckten eine Weile im Todeskampf, sein Atem stockte, und das Herz des gequälten Geschöpfes hörte auf zu schlagen. Auf dem Friedhof herrschte Totenstille.
Linnea Ravaska schlich näher, um das Ergebnis zu betrachten. Sie richtete den Körper des Toten so aus, daß er in Embryostellung lag, und schob ihm die Hände unter den Kopf, als hielte ein Betrunkener auf der Bank seinen Nachmittagsschlaf. Dann drückte sie ihm die Augen zu und drehte sein Gesicht zur Lehne. Den Muff steckte sie in ihre Handtasche, anschließend hob sie die heruntergefallene, leere Injektionsspritze auf und steckte sie ebenfalls ein.
Im Laufe ihres langen Lebens hatte Linnea Ravaska oft mit dem Tod zu tun gehabt. Oberst Ravaska war ein Militär gewesen, darin ausgebildet, Menschen zu töten. Während des Krieges hatte ein Menschenleben keinen großen Wert gehabt. Trotzdem mußte sie feststellen, daß sie sich niemals an den Tod gewöhnte. Das plötzliche Ableben des grausamen jungen Mannes beschämte und erleichterte sie zugleich.
»Gott sei Dank, du hast deinen Lohn gekriegt!«
Linnea untersuchte die Taschen des Toten: Sie fand allerlei Krimskrams, ein paar Zehnerscheine, einen Schlüsselbund und einen ausgefüllten Lottoschein. Die Schlüssel und den Lottoschein steckte sie ein, die and e ren Gegenstände und das Geld ließ sie bei dem Toten. Dann sah sie sich auf dem stillen Friedhof um, es war kein Mensch in der Nähe, ein paar Eichhörnchen mit buschigen Schwänzen sprangen hinter den Grabsteinen hervor und bettelten um Futter. Linnea fand, so sei es immer: Auf dem Friedhof Hietaniemi wimmelte es immer gerade dann von Eichhörnchen, wenn man keine Nüsse dabei hatte. Richtete man sich aber extra darauf ein, Eichhörnchen zu füttern, waren sie wie vom Erdboden verschluckt.
»Wenn ihr brav seid, kriegt ihr morgen soviel Nüsse, wie ihr vertragen könnt«, versprach Linnea den Tieren. Sie nahm das Blumengebinde an sich, das
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