Die Giftköchin
Pertti Lahtela entwendet hatte. Sie wollte es zu dem Grab zurücktr a gen, von dem es stammte, doch es gab soviele frische Gräber, daß sie das richtige nicht wiederfand. So b e schloß sie, das Blumengebinde an Urho Kekkonens Grab niederzulegen.
Irgendwie entstand für sie der schaurige Eindruck, als wäre Lahtela nur deshalb gestorben, damit sie Gelege n heit bekäme, sich Kekkonens Grab anzusehen. Der Stein war düster und protzig. In seine Oberfläche war eine Art Streifen gemeißelt, wie eine Welle oder Pflugfu r che. Auf eine bestimmte Art paßte es gut zu dem Grab, war doch Kekkonen seinerzeit ein rechter Pflüger gew e sen, in vielerlei Hinsicht. Linnea erinnerte sich noch gut an Urho. Ein eigensinniger Mann, aber letztlich ein recht interessanter, alter Bock. Kekkonen wäre bestimmt General geworden, wenn er sich für die militärische Laufbahn entschieden hätte.
Linnea legte das Blumengebinde nieder. Das blauwe i ße Seidenband trug in Goldbuchstaben die Aufschrift: »In tiefer Trauer und ehrendem Gedenken an unseren geliebten Lehrmeister. Akademische Frauen e.V . Uus i maa.«
Linnea Ravaska wanderte langsam heimwärts nach Töölö. Nach langer Zeit fühlte sie sich wieder einmal herrlich unbeschwert.
13
Als Linnea Ravaska in der Döbelnstraße eintraf, fand sie dort den aufgeregten Jaakko Kivistö vor. Der Arzt fragte sie, wo sie gewesen sei. Nicht, daß er ihre Bewegung s freiheit in irgendeiner Weise einschränken wolle, aber er sei wirklich sehr in Sorge um seine alte Freundin gew e sen. Linnea sagte, sie habe einen Spaziergang gemacht, sie sei in den Parks und auch auf dem Friedhof Hiet a niemi gewesen. Jaakko Kivistö erklärte, heutzutage sei Vorsicht angeraten, wenn man allein auf die Straße gehe. Alte Leute würden sogar am hellichten Tage übe r fallen, so sei die Welt nun einmal geworden.
Linnea klagte über Kopfschmerzen, welche sich bei ihr tatsächlich immer nach großen Gemütsbewegungen meldeten. Sie sagte, sie würde es vorziehen, auf ihr Zimmer zu gehen und einen Nachmittagsschlaf zu ha l ten. Es drängte sie, über das Geschehene ganz allein nachzudenken. Jaakko Kivistö hatte Verständnis für die Wünsche der alten Frau. Er erzählte, er habe in der Stadt Blumen gekauft. Er sei auf dem Markt gewesen und habe von dort auch ein wenig Frühgemüse mitg e bracht. Er versprach, den Abendtee zuzubereiten, Li n nea könne gern bis dahin schlafen.
Tatsächlich, auf dem kleinen Tisch in Linneas Schla f zimmer stand ein Strauß gelber Rosen. Linnea betrac h tete die schönen, duftenden Blumen mit Wohlgefallen. Taakko war ganz der alte, stets dachte er daran, seiner Gefährtin Blumen zu bringen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, so recht nach Art der Ärzte. Rainer hatte nie nach ihrem Befinden gefragt. Dergle i chen kam einem Offizier wohl gar nicht in den Sinn, denn die Militärs sind ja ausgebildet, Menschen zu töten, anders als die Ärzte, deren Aufgabe das Wohlb e finden der Menschen ist. Wenn Rainer ihr mal Blumen mitgebracht hatte, bedeutete das im allgemeinen, daß sein Gewissen nicht ganz rein war. Gewöhnlich hatte es sich um eine Frauengeschichte gehandelt, manchmal auch um ein Trinkgelage oder Glücksspiel, auf das er sich zuweilen einließ. Offiziere hätten Linneas Meinung nach überhaupt nicht um Geld spielen dürfen, ihr Ei n kommen war nicht danach, doch merkwürdigerweise ließen sie sich unverantwortlich oft dazu hinreißen. Linnea konnte sich nicht einmal im Traum vorstellen, daß Jaakko Kivistö anfinge, mit seinen Arztfreunden Poker zu spielen, noch dazu um Geld.
Jaakko war also ganz der alte. Bald würde er wohl um ihre Hand anhalten, so wie früher schon einmal. Warum nicht? Linnea mochte ihn, aber der heutige Todesfall bedeutete eine so gewaltige Erschütterung, daß sie jetzt an kein Techtelmechtel denken mochte, nicht einmal mit einem netten, alten Arzt.
Sie legte sich nieder und ü berlegte, was mit Pertti Laht elas Leiche zu tun sei. Wäre es vielleicht ang e bracht, die Stadtreinigung anzurufen und zu bitten – natürlich anonym –, die Leiche wegzuschaffen? Oder oblagen diese Dinge dem Friedhofsunternehmen? Die Polizei mochte Linnea nicht einschalten. Vielleicht tat sie vorläufig gar nichts und ließ etwas Zeit vergehen, würde dann nicht von allein etwas geschehen? Linnea schloß die Augen und versuchte, das Problem zu verdrängen. Sie hatte keine großen Gewissensbisse wegen der Tat. Vielleicht war sie schon zu alt und abgebrüht? Der
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