Die Giftmeisterin
da sie leise sprachen; zudem störte das Spiel der beiden kleinen Kinder. Dann aber sagte Emma verhältnismäÃig deutlich: »Ich hole gleich noch neuen Wein. Und Gersvind erwiderte: »Ich möchte keinen mehr.«
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Das war meine Gelegenheit. Wo die Küche war, hatte ich auf meinem Weg durch das Haus gesehen, und wenn ich dann noch rasch den Wein fand... Ich schlich mich vorsichtig in die Küche. Das Feuer im Ofen flackerte schwach
und gab wenig Licht, aber mithilfe einer kleinen Ãllampe, die neben dem Ofen brannte, suchte ich die Borde nach einem Krug oder Schlauch ab und fand tatsächlich einen halbvollen, groÃbauchigen Krug, dessen Inhalt nach Wein roch. Ich holte die Phiole hervor, löste den Pfropfen ab - und hielt inne. Was, wenn Arnulf nachher von diesem Wein trinken würde?
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ICH BRINGE DIE Dinge durcheinander. Die Wahrheit ist ein verschlagenes Wesen mit vielen austauschbaren Gesichtern, von denen wir stets jenes sehen, das uns am besten gefällt.
Ich hielt inne. Ja, doch, das ist wahr, insoweit stimmt, was ich geschrieben habe. Doch hielt ich inne, weil ich um Arnulf fürchtete,? Rückblickend kommt es mir so vor. Tatsächlich jedoch gingen mir, wenn ich darüber nachdenke, mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, von denen der Gedanke an Arnulf nur einer war und meines Wissens nicht der erste.
Ich erinnere mich auch, dass ich an Gersvind dachte. An die Sicherheit, mit der die Reiterin das Pferd beherrscht hatte. An die Wildheit ihrer Erscheinung. War es denn so abwegig, war es nicht sogar viel eher denkbar, dass nicht Emma, sondern Gersvind die Angreiferin auf dem Feld gewesen war? Und dass Gersvind wusste, wie man mit einem Blasrohr treffsicher und leise umging, sodass keiner der übrigen Anwesenden etwas davon mitbekam? Falls Gersvind zumindest eines der Attentate auf mein Leben verübt hatte, stellte sich die Frage, ob sie überhaupt in Emmas Auftrag oder auf eigene Veranlassung hin gehandelt hatte. Im zweiten Fall wäre Emma vermutlich noch nicht einmal eingeweiht.
Doch da, die geöffnete Phiole in Händen, entstand noch
etwas anderes in mir, das weit stärker war als meine plötzlichen Zweifel bezüglich Emmas Täterschaft.
Ich sagte vorhin, der Weg vom Wunsch zum Plan führe über einen Abgrund, und davon habe ich nichts zurückzunehmen. Doch der Weg vom Plan zur Tat führt über einen noch breiteren, noch tieferen Abgrund. Was als Idee entsteht, bringen Herz und Hand nicht unbedingt zustande. In Emmas Küche lernte ich die begrenzte Macht des Willens kennen, denn eine Stimme so alt wie die Welt und tief aus meinem Innern warnte mich, die Tat auszuführen - und lähmte die Hand, die sie begehen wollte. Ich zögerte, und da war es auch schon zu spät.
Ich hörte Emma nahen, verzog mich in einen Winkel und sah von dort aus zu, wie sie den Krug nahm und die Küche wieder verlieÃ.
Wie eine Versagerin kam ich mir vor. Jetzt, wo ich die Tat nicht mehr begehen konnte, war mir wieder danach, sie zu begehen.
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Als ich das Haus auf denselben leisen Sohlen, auf denen ich es betreten hatte, wieder verlassen wollte, stand ich plötzlich vor Emmas zweijähriger Tochter. Sie sah mich mit groÃen Augen an. Ich ging an ihr vorbei ins Freie, in die Nacht.
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Ich war aufgewühlt und gereizt, das Herz schlug in meiner Kehle, und ein bitterer Geschmack lag mir auf der Zunge. In meinem Kopf ging es drunter und drüber. Wenn ich bedacht hätte, welche Frau ich noch eine Woche zuvor gewesen war, dann hätte die Entwicklung mich erschrecken lassen. Doch zu solchen Ãberlegungen war ich an jenem Abend nicht in der Lage. Der Gedanke, nach Hause oder gar
ins Bett zu gehen, widerstrebte mir. Ich war noch nicht fertig mit mir und mit Gott, und obwohl ich mich nach Ruhe sehnte, wusste ich, dass ich diese Ruhe nicht im Schlaf finden würde. Solange ich tödliches Gift mit mir herumtrug und im Unklaren darüber war, ob und wie ich es einsetzen würde, wäre ich in Aufruhr und könnte keine andere Gesellschaft ertragen als Himmel und Hölle.
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Die Pfalzkapelle ist klein und schmucklos, weshalb der König vorhat, schon bald ein viel gröÃeres Gotteshaus an ihre Stelle zu setzen. Wie derzeit alles in der Pfalz, einschlieÃlich der Menschen, ist sie ein Provisorium, aber ich mag sie gerade wegen ihrer Geringfügigkeit und Leere. In einem solchen Bau scheint mir Gott weniger
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