Die Giftmeisterin
überführt werde, wo sie im Grab ihrer Familie die letzte Ruhe fände.
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Gerlindis hatte mir auf dem Weg zur Messe einmal mehr gezeigt, dass sie ein trotziges Kind sein konnte. Sie hatte mir meine Rüge vom Vorabend übel genommen. Auf dem Rückweg zu unserem Haus besann sie sich - wobei das Wort »besinnen« beinahe eine Schmeichelei darstellt, denn es besagt, dass jemand nachdenkt. Gerlindis dachte nicht nach, sie war wie eine Feder im Wind ihrer Liebe, und da das von ihr ersehnte Bankett nun definitiv stattfinden würde, war sie unfähig, Groll gegen irgendjemanden zu hegen.
Als wir in die Wohnhalle gingen, wo noch sämtliche Spuren
der gestrigen Anprobe zu finden waren, eilte sie schnurstracks auf ein Kleid zu und hielt es hoch.
»Dafür habe ich mich entschieden, Tante. Sag selbst, ist es nicht wunderschön?«
Das war es. Blassblau, ins Silberne gehend wie ein Frühlingshimmel. Ich kannte dieses Kleid. Ich wusste um seine Geschichte.
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Eine zwölf Jahre alte Erinnerung: Ostern in Rom.
Ein Gewand wie der Frühlingshimmel. Ich habe Berta noch nie derart hoffnungsvoll erlebt wie in diesen Ostertagen im Jahre des Herrn 787. Rom tut ihr sichtlich gut. Das Petrusgrab, die Wallfahrtskirchen, Reliquien, Katakomben, die Räume, die wir, einen Steinwurf von Papst Hadrian entfernt, im Lateran bezogen haben - all das wirkt auf Bertas Seele wie ein Verjüngungsmittel. Beklagt Berta sich, wenn wir uns im fränkischen Reich aufhalten, über das mangelnde Latein und die schlechte Ausbildung der meisten Priester, die oft noch nicht einmal den Wortlaut verstehen, den sie verlesen, so schwärmt sie hier von der makellosen Manier, in der die Gottesdienste ablaufen, und von den Predigten, die weniger von der Hölle, sondern mehr vom Himmel erzählen. Ist sie im Reich verdrossen über das fast vollständige Fehlen groÃer Basiliken, kann sie sich in Rom kaum entscheiden, wo wir die nächste Messe hören. Eine Woche lang sind wir von Abendmahl zu Prozession geeilt, von Passion zu Passion, und heute, am ersten Tag nach Ostern, ist es, als sei Berta gemeinsam mit Jesus Christus auferstanden. Ich komme kaum mit, als wir zum Circus maximus laufen, wo so viele
Christen von Kaiser Nero ermordet und zu Märtyrern gemacht worden waren. Das Wetter ist uns hold, und Berta strahlt mit der Sonne um die Wette.
Nach der ersten Ergriffenheit, die uns angesichts dieses tragischen Schauplatzes der ersten Christenverfolgung packt, wendet Berta sich plötzlich zu mir und sagt: »Burchard ist völlig verändert, seit wir in Rom sind.«
Berta spricht sonst nie mit mir über ihren Gemahl Burchard, daher fällt mir nicht sofort die passende Erwiderung ein, aber das scheint Berta nicht zu stören. Sie möchte einfach nur ihr Glück mitteilen.
»Er macht mir Komplimente. Er sieht mich an, verstehst du, nicht einfach nur so, nein, er sieht mich richtig an. Er spricht viel leiser. Ich weià nicht - liegt es an den Mahnungen, die Papst Hadrian in seiner Palmsonntagspredigt an die Männer richtete, ihre Frauen zu achten, oder daran, dass diese heilige Stadt einen günstigen Einfluss auf ihn nimmt, oder daran, dass wir heute vor zwanzig Jahren geheiratet haben?«
»Darum bist du so guter Laune. Und darum dieses wunderschöne Gewand.«
»Ja.« Sie lächelt. »Ich möchte Burchard heute Abend verwöhnen. Am Tage nimmt er noch an einer Besprechung mit dem König teil, aber heute Abend gehört er mir. Ich möchte ihm beweisen, wie günstig ich auf seine Veränderung anspreche.«
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Als Berta am nächsten Morgen nicht erscheint, warte ich, bis Burchard gegangen ist, und dann suche ich sie auf. Weder sie noch ihre Zofe öffnen mir, dennoch betrete ich ihre Räume. Ich finde Berta mit Würgemalen am Hals vor. Sie liegt reglos und halb aufgerichtet
auf dem zerwühlten Bett, den Blick starr auf die Wand gerichtet, wie tot. Der linke Ãrmel ihres Gewandes ist abgerissen, der Arm ist übersät von Blutergüssen. Sie spricht nicht. Ich spreche nicht. Langsam streiche ich ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Ich nähte den Ãrmel wieder an, doch ich habe dieses Kleid nie wieder an Berta gesehen. Dass sie es überhaupt noch besaÃ, erstaunte mich, und noch mehr, dass sie es Gerlindis zur Auswahl vorlegte. Vielleicht sah sie Gerlindisâ Liebe stellvertretend für die Abwesenheit der eigenen Liebe
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