Die Giftmeisterin
aufgerissenen Augen und einem Dolch im Bauch quer auf ihrem Bett.
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Der Anblick war schrecklich. Mathildas Kleid war blutdurchtränkt, und die tödliche Wunde war frisch und tief. Ich hatte als junge Frau bei den Feldzügen viele Tote und Verletzte gesehen, und ich wusste, diese Wunde konnte gerade eben erst geschlagen worden sein, nicht lange jedenfalls, bevor die Zofe zu schreien begonnen hatte, höchstens vor einer halben Stunde. Den Dolch erkannte ich als denjenigen, der neulich auf ihrem Spiegeltisch gelegen hatte.
»Die Zofe hat ihre Herrin so gefunden?«, fragte ich eine Wache.
Der Mann sah mich verwundert an, seltsam berührt von der Tatsache, dass eine Gräfin, eine Frau, ihm diese Frage stellte. »Ja. Aber es handelt sich nicht um die Zofe der Herrin Mathilda.«
»Sondern?«
»Es ist die Zofe der Herrin Gersvind. Sie kam nur zufällig an der weit offen stehenden Tür vorbei und blickte direkt auf die Tote. Dann schrie sie sofort um Hilfe.«
Ich prüfte den Sachverhalt. Tatsächlich konnte man im Vorbeigehen bei offen stehender Tür auf dem Bett Mathildas Leichnam sehen, und die zahlreichen Ãllampen, die überall im Gemach brannten, machten die Nacht hier drin zum Tag.
Ich wandte mich wieder der Toten zu und entdeckte das Armband an ihrem Handgelenk: ein kostbar gearbeiteter Goldreif, an dem Perlenschnüre befestigt waren, an denen wiederum dünne Goldplättchen in Form von Sonnen und Halbmonden hingen. Ich hob Mathildas Handgelenk an und schüttelte es - zum Erstaunen der Wachen - ein wenig. Dasselbe Geräusch hatte ich in der hnsteren Kapelle gehört.
In dem Augenblick traf Arnulf ein. Er war unordentlich gekleidet, was nicht zu ihm passte, vor allem nicht bei einer Besprechung mit dem König. So sah Arnulf nur dann aus, wenn er in aller Eile aus dem Bett hatte steigen und sich ankleiden müssen. Natürlich war er bei Emma gewesen; er sah mir an, dass ich es erkannte. Ich hatte ihn bei einer Lüge und er mich bei einer unschicklichen Tätigkeit ertappt. Wir schlugen beide die Augen nieder.
Dies war nun sein Terrain. Ich musste mich zurückziehen. Höflich nickte ich ihm zu und verlieà das Frauenhaus.
Zu Hause probierte Gerlindis weiterhin Kleider an. Ich schilderte Berta und ihr, was geschehen war, und während Berta vor Entsetzen kaum noch Luft bekam und sich setzen musste, hielt Gerlindisâ Erschrecken nicht lange an. Sie erbleichte zwar und schien beunruhigt, sagte aber dann: »Grifo kann es nicht gewesen sein. Mit seinen Krücken wäre er gewiss viel zu langsam.«
»Gut möglich. Das wird Arnulf überprüfen.«
»Und bedeutet dieser - dieser Vorfall, dass das morgige Bankett ausfallen wird?«
Ich wurde zornig. »Gerlindis! Eine Frau ist gestorben, die wir alle gekannt haben, ein Mitglied des königlichen Hofstaats ist zu Tode gekommen, und es ist respektlos und selbstsüchtig von dir, an nichts anderes als an eine Feier zu denken.«
Sie brach in Tränen aus, lieà alles stehen und liegen und rannte in ihr Zimmer.
Nun war ich endgültig erschöpft.
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Berta schlief bei mir im Bett; sie hatte sich für unfähig erklärt, die Nacht allein in ihrem Haus zu verbringen. Ich dachte vor dem Einschlafen, wenn Arnulf nun doch noch in dieser Nacht zu mir kommen wollte, würde er einen gehörigen Schreck kriegen, plötzlich auf Berta zu liegen. Das war ein amüsanter Gedanke, der wie eine kleine Insel in einem See von Verwirrung und Entkräftung aufragte.
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Bertas Anwesenheit in meinem Bett war nicht der Grund für meine unruhigen Träume. Ich befand mich, glaube ich, in einem Halbschlaf, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das Wort es trifft. Die ganze Zeit über, während ich träumte, wusste ich, dass ich träumte. Ich ging gleichsam in den
verstörenden Bildern spazieren, versuchte sie zu ordnen, verwarf sie, wenn sie mir missfielen... Ich bedachte im Halbschlaf die Möglichkeiten, wer Mathilda getötet haben könnte. Namen und Gesichter erschienen mir: Teodrada, Grifo, Gersvind, Eugenius, Liutgarde - ja, seltsam, sogar Liutgarde, die Königin. Und es ging noch kurioser weiter: Gerold schlich sich in meine Träume, und ich erinnere mich, wie ich - weiterhin halb schlafend, halb denkend - mich über diesen Verdacht empörte, so als wäre Gerold ein mir ungewöhnlich nahe stehender Mensch. Sein Bild wurde abgelöst durch
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