Die Giftmeisterin
Dann hören wir Schreie. Ist es das Angriffsgeschrei eines barbarischen Volkes? Wir sind uns nicht sicher.
Doch aus dem Dunkel dringt eine Stimme zu uns, die schreit: »Sieg, Sieg!« Wir Frauen umarmen einander, die Wachen strecken ihre Lanzen in die Höhe und stimmen das allgemeine Siegesgeschrei an. Endlich sieht man die Umrisse unserer Reiter. Ihre Rösser dampfen, schnauben schwer, werden langsamer. Wir entzünden Fackeln, die uns von den Reitern aus den Händen gerissen werden. Im Triumph ziehen die Siegreichen zu Pferd durch das Lager, und je mehr Fackeln entzündet werden und Licht in die Finsternis bringen, desto gröÏer wird mein Unbehagen über das, was ich sehe, und das, was ich nicht sehe.
Was ich nicht sehe, ist Arnulf. Wo steckt er? Die ganze Welt jubelt, doch was wäre das für ein Triumph, wenn Arnulf irgendwo verwundet läge? Oder schlimmer noch, wenn er tot wäre? Verzweifelt versuche ich, einen der Reiter zu fragen, ob er etwas wisse, doch sie alle sind zu schnell und zu laut. Sie werfen ihre Helme hoch und streifen ihre Eisenhandschuhe ab und ich muss aufpassen, nicht von einem schweren Teil getroffen zu werden. In ihrem Taumel ekeln sie mich ein wenig an. Ich habe nichts gegen Freude, auch nichts gegen Siegesfeiern, aber die Freude unserer Männer ist die Trunkenheit von dem Blut, mit dem sie über und
über befleckt sind. Blut auf den Rüstungen und auf den Pferden; berauschte Gesichter, vom Wahn zerfetzte Blicke. Für einen Moment bin ich sogar froh, Arnulf nicht unter ihnen zu finden, denn womöglich würde auch er mich anekeln.
Im nächsten Moment aber weià ich, dass Arnulf sich niemals wie diese Meute zu Pferd verhalten würde. Er ist anders. Ich kann ihn mir nicht im Blutrausch vorstellen, unmöglich.
Wo ist er? Arnulf, wo bist du?
»Berta, siehst du Arnulf hier irgendwo?«
»Nein, leider nicht. Aber dort ist Burchard, ich frage ihn. Er weià bestimmt etwas, da sie doch so gut befreundet sind.«
Berta ruft ihrem Gemahl etwas zu und nähert sich seinem Pferd, aber Burchard achtet nicht auf das, was seine Frau sagt, sie stört ihn nur in seinem Rausch, und er reiÃt die Zügel herum, sodass Berta rückwärtsstolpert und fast zu Boden fällt.
Ich trete auf ihn zu, und als er mich genauso übersehen will wie seine Frau, greife ich beherzt nach dem Zaumgeschirr seines Rosses. Als Sattlerstochter weià ich, wo ich anpacken muss, um einen Reiter dumm aussehen zu lassen, und tatsächlich gelingt es Burchard nicht, sein Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Wo ist Arnulf?«, frage ich.
»Beim König auf der Eresburg geblieben, zusammen mit Gerold, Eggihard, Anselmus und einem Dutzend des FuÃvolks. Sie übernachten dort.«
»Es geht ihm also gut?«
»Ha! Er hat neun Sachsen getötet, zwei mehr als ich. Und ob es ihm gut geht!«
Ich lasse das Geschirr los. Arnulf lebt und ist nicht verwundet, mehr muss ich nicht wissen, mehr will ich nicht wissen.
Erleichtert, aber auch ein wenig benommen, kehre ich zu meinem Wagen zurück und lasse mich ins Stroh fallen. Vor dem Einschlafen träume ich von Arnulfs Lippen, seinem flaumigen Bart, seinen jungen, gierigen Augen, seinen Adern, die dick wie Holunderzweige sind, seiner Männlichkeit... Ich höre noch, wie der Lärm der Eroberer verklingt, und mein letzter Gedanke vor dem Schlaf ist, dass ein jeder der Eroberer in diesem Moment, den Rausch verlängernd, seine Frau besteigt. Nur nicht Eggihard, Anselmus, Gerold - und Arnulf.
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Ich erwache in der Morgendämmerung. Aber es ist nicht das zaghafte Licht, das mich erwachen lässt, sondern Arnulf, der leise ins Stroh sinkt. Er muss noch in der Nacht die Eresburg verlassen haben, um jetzt neben mir zu liegen.
»Liebster.«
»Du bist wach?«, murmelt er, von mir abgewandt und schon im Halbschlaf.
»Ich bin von dir aufgewacht.«
»Tut mir leid.«
»Das macht nichts.«
»Schlaf weiter«, murmelt er, fast unverständlich, dann ist er eingeschlafen. Ich berühre seine nackte Schulter, ich küsse sie, ich küsse sein Haar und liege glücklich bei ihm. Er ist da. Ich kann nichts anderes denken, immer nur: Er ist da.
Ich möchte irgendetwas für ihn tun, irgendeine Art von persönlichem, stillem Fest feiern, die Art von Festen,
die Frauen seit Anbeginn der Zeit feiern, wenn sie an ihrem Glück fast ersticken. Wären wir zu
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