Die Giftmeisterin
Vielleicht rief ich mir Kornfelder vor mein inneres Auge, das tue ich manchmal, wenn ich Frieden suche; auch Mohnblüten, das Glitzern der Rhone, das Plätschern ihrer Wellen am Ufer, die Moosteppiche der germanischen Wälder, die Lichtsprenkel unter einer tausendjährigen Eiche, die Alpen im Abendlicht... Ich habe schon so viel Schönheit gesehen. Müsste ich nicht eine glückliche Frau sein?
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Jetzt kommt das Schwerste. Der Fall ins Dunkle. Die Tat. Der Tod. Mein Verbrechen.
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ES WAR SO leicht. Ich war allein in der Küche, dem Gesinde hatte ich anlässlich der Ankunft des Oberhirten frei gegeben. Unsere besten Silberkelche - eine Beute aus dem Langobardenfeldzug vor mehr als zwanzig Jahren - stellte ich auf eine prunkvolle Platte, goss das Elixier in den links stehenden Kelch, füllte alle Kelche mit Wein auf und trug die Platte in die Wohnhalle, wo Gerlindis, Emma und Arnulf vor dem Feuer standen und sich unterhielten. Eigentlich redete nur Gerlindis. Emma witterte Betrug, und dies natürlich völlig zu Recht, aber sie war sich unsicher, welche Mittel ich gegen sie anwenden würde. Vermutete sie, ich wolle meine Haut und Ehe retten, indem ich gute Miene machte und mich bei ihr anbiederte? Einer Frau, die sich gewiss ist, den einmal im Netz ihrer Schönheit und Liebeskünste gefangenen Mann nicht wieder zu verlieren, traue ich solche Arroganz zu. Ich glaube nicht, dass Emma mich fürchtete. Trotzdem war sie vorsichtig, ja, vielleicht sogar misstrauisch. Ich erinnere mich ihres Blicks, als ich die Platte auf dem Tisch neben dem Feuer abstellte. Ein Blick voll gespannter Aufmerksamkeit.
Den ersten Kelch reichte ich Arnulf, den zweiten Gerlindis. Arnulf trank von seinem Wein, noch bevor ich die beiden Kelche für Emma und mich ausgeben konnte. Die ungewohnte Situation, zwischen seiner Gemahlin und seiner Geliebten zu stehen, forderte ihm zweifellos einiges ab, doch
ich glaube, dass sie ihn stärker erregte als aufregte. Wenn er zu uns und zu sich selbst ehrlich gewesen wäre, hätte er eingestanden, dass seine tiefsten, lüsternsten Wünsche an jenem Abend dabei waren, Gestalt anzunehmen. Wer weiÃ, wohin uns das im Laufe der Zeit noch gebracht hätte, hätten meine Pläne nicht etwas ganz anderes vorgesehen.
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Die beiden verbliebenen Kelche nahm ich in jeweils eine Hand und bot sie Emma zur Wahl an. Falls sie irgendwelchen Argwohn gehegt haben sollte, so hatte ich ihn mit dieser Geste zerstreut. Sie ergriff einen der beiden Kelche.
»Auf ein neues Leben«, sagte sie, und ich bin mir bis heute nicht sicher, was genau sie damit gemeint hat. Sicherlich hat jeder von uns vier, die wir die Kelche hoben, in jenem Moment an etwas anderes gedacht: Gerlindis an ein Leben mit Grifo, Arnulf an ein Leben mit zwei Gefährtinnen und vielen Kindern, Emma an ein Leben als Gräfin... Und ich? Ich war noch ganz im alten Leben, im Aufbruch der jungen Ehejahre, in den Hoffnungen, in den gemeinsamen Anstrengungen der Reisen im Gefolge des Königs und im gemeinsam durchlebten Leid der Kinderlosigkeit. Wo waren die Jahre geblieben? Wo war all dies geblieben?
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Ich denke auch jetzt wieder an die vielen Male, als wir gelacht haben, als wir uns so nah waren, wie zwei Menschen sich überhaupt nur nah sein können. Das tut gut. Das tut weh. Das ist vergangen.
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Als wir auf das neue Leben anstieÃen und noch bevor wir die Kelche zu den Lippen führten, rauschte der Tod bereits im Blut des Opfers. Arnulf hatte vor uns getrunken, und Arnulf würde bald sterben.
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ICH HATTE IN voller Absicht gehandelt, und doch war die Handlung eher schlafwandlerisch erfolgt. Ich wusste, was ich tat, aber ich konnte mir nicht genau erklären, warum ich es tat. Erst auf dem Weg von der Küche in die Wohnhalle war mir die Möglichkeit durch den Kopf gegangen, den Plan zu ändern, und mit dem Betreten der Wohnhalle hatte ich mich dafür entschieden. In dieser Zeitspanne, die nur wenige Atemzüge dauerte, traf etwas bei mir ein... Die Wortwahl, die ich hier eben verwendet habe, ist interessant: Etwas traf ein. Ich habe diese Wörter ohne nachzudenken benutzt, sie kamen irgendwoher, und ebenso verhielt es sich mit meiner Tat, ja, auch mit den Gefühlen, die meiner Tat zugrunde lagen.
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Der Entschluss, einen Menschen zu töten, hatte sich zunächst auf Emma bezogen und er war dennoch nicht leichten Herzens von mir getroffen worden. Emma hatte mir
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