Die Giftmeisterin
Euch tat.«
»Allerdings. Wie kann er nur glauben, auf Grausamkeit einen Leuchtturm errichten zu können! Denn das nennt er doch als sein Ziel: das fränkische Reich als Leuchtturm Europas. Aber Karl ist furchtbar, ein blutsaufender Tyrann.«
»Das Schlechte ist zwar nicht mächtiger als das Gute, wohl aber schneller und leider auch viel nachhaltiger. Es hinterlässt Spuren, die Euch nach und nach verändern werden. Lasst das nicht zu.«
»Ich soll vergessen, was ich gesehen habe?«
»Das würde Euch nicht gelingen. Wägt es stattdessen gegen das Gute, das Ihr gesehen habt: den Frieden am Rhein, an der Rhone, an Mosel, Loire und Po...«
»Euer sogenannter Frieden am Po wurde durch schreckliche Kriege gegen Langobarden und Awaren erreicht, ich sah es mit eigenen Augen. Wirklichen Frieden hat Karl nie selbst geschaffen, er hat ihn allenfalls geerbt und dann erhalten. Wo immer er konnte, hat er neue Schlachtfelder gesucht und gefunden.«
»Um ein Reich zu formen.«
»Als sei das fränkische Reich nicht groà genug! Sein Versprechen wahr machen und die Ostfranken und die Westfranken wieder zusammenführen und zu unteilbaren Brudervölkern schmieden - das wäre eine Lebensaufgabe gewesen. Aber dafür braucht man ja mehr als Schlachtrösser und Belagerungsmaschinen, man braucht Geduld und Verständnis für das, was die Menschen wirklich bedrückt. Um die Rechtssprechung hätte er sich kümmern sollen, um StraÃenbau, um die Erschaffung einer funktionierenden und einheitlichen Verwaltungsstruktur...«
»Ich staune. Ihr habt Euch viele Gedanken gemacht.«
»Lenkt nicht ab, Eugenius.«
»Ihr seid erregt.«
»Ja, allerdings.«
»Ich frage mich nur, warum.« Als er meinen wütenden Blick auffängt, lenkt er ein. »Keine Frage, der Anlass ist offensichtlich - alle diese Verheerungen, der Hass der Elenden... doch scheint sich mir Eure heftige Reaktion auf mehr als das zu beziehen, was heute geschah.«
»Ich sprach ja bereits von den vielen Kriegen und Gräueln, die ich im Laufe...«
»Nein, ich meine etwas Persönliches, etwas sehr Persönliches, ohne dass ich wüsste, was.«
Ich schweige. Eugenius hat eine innere Wahrheit in mir berührt, wie es nach ihm nur noch Fionee gelingen wird, aber im Gegensatz zu Fionee offenbare ich mich Eugenius nicht. Vielleicht, weil er ein Mann ist. Vielleicht, weil ich noch nicht bereit bin, darüber zu sprechen, dass seit einiger Zeit ein schrecklicher Verdacht an mir frisst. Ich habe meine Kinder verloren, weil ich tausend Strapazen auf mich nahm, um Arnulf nahe zu sein, Strapazen, die ich nicht hätte auf mich nehmen müssen, wenn der König nicht an allen Ecken und Enden des Reiches Krieg geführt hätte: von den Aquitaniern zu den Langobarden zu den Sachsen zu den Awaren zu den Sachsen zu den Mauren zu den Sachsen zu den Bretonen zu den Sachsen zu den Byzantinern in Süditalien zu den Sachsen - eine einzige, nicht enden wollende Fahrt auf holprigen Wegen, in wackligen Wagen, bei Hitze und Kälte, bei Regen und Schneesturm, vorbei an Leichen am Wegesrand, den Geruch von Blut einatmend. Das ist mein Leben. Das ist der Tod meiner Kinder. Und wofür? Um angespuckt zu werden.
An diesem Tag kommt das alles zusammen. Es ist eine Flut, die wie jede Flut wieder abläuft, von der aber wie bei jeder Flut Schäden zurückbleiben. Ich werde nie wieder derart schlecht vom König denken - und ihn nie wieder bewundern. Ich beherzige Eugeniusâ Rat und konfrontiere weder Arnulf noch den König oder sonst wen mit meinem Erlebnis, denn nur mit Eugenius kann ich über meine Enttäuschung über die Politik des
Königs sprechen. Er behandelt mich wie eine ihm in jeder Hinsicht Gleichgestellte. An jenem Tag im Schatten des Baumes bei Goslar beginnt unsere Freundschaft.
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Und noch eine andere Erinnerung habe ich, und zwar an den gleichen Tag und den gleichen Ort.
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Ungefähr eine Stunde nach dem Vorfall mit den Gefangenen kommt ein Reiter in fremdländischer Kleidung angeprescht, überbringt Eugenius eine schriftliche Botschaft und zieht sich danach einige Schritte zurück.
»Schlechte Nachrichten?«, frage ich, als Eugeniusâ Miene sich verdüstert.
»Seine Heiligkeit Papst Hadrian I. ist gestorben.«
Ich bin mir unsicher, was in einem solchen Fall zu tun ist. Soll ich ein Gebet sprechen? Auf die Knie fallen?
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