Die Giftmeisterin
Hadrian I. ist vor dreiundzwanzig Jahren zum Papst gewählt worden, und ich habe vergessen, wie wir uns verhalten haben, als wir vom Tod seines Vorgängers erfuhren.
Ich sage: »Das ist ein groÃer Verlust.«
»Ja, in der Tat.«« Eugenius ist betrübt. »Er war von vornehmer Herkunft, von groÃer Weisheit und Würde sowie von enormem politischem Geschick. Unter seiner Führung haben Papsttum und Patrimonium Petri an Ansehen und Stolz gewonnen. Auch ich habe ihm viel zu verdanken. Er hat Vertrauen in mich gesetzt und mich zu seinem Gesandten am fränkischen Hof ernannt.«
Ich sehe noch etwas anderes als Trauer in Eugeniusâ Augen und frage, einer Ahnung folgend: »Ist bereits ein Nachfolger gefunden?«
Er nickt. »Der Bischof von Santa Susanna, jetzt Papst Leo III.«
»Kennt Ihr ihn?«
»Er ist kein Römer, sondern gebürtiger Süditaliener und stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Das bedeutet, er ist ordinär. Die Kirche wird unter ihm groÃen Schaden nehmen.«
Ich erschrecke über diese deutlichen Worte, die zudem einem Nachfolger Petri gelten, und Eugenius, der meinen Schrecken bemerkt, lenkt ab und schlägt ein gemeinsames Gebet für die Seele des Verstorbenen vor.
Danach wird zwischen uns nie wieder die Rede von der Eignung Leos III. zum Papst sein.
Wir sprachen erst wieder an jenem Abend des Banketts von Leo. Ich bemerkte, wie Eugeniusâ rechte Hand in die Falten seines Gewandes glitt, und ich hatte eine Ahnung. Rasch ging ich auf Eugenius zu, der sich noch immer in der Nähe des Papstes aufhielt und den mein Erscheinen irritierte.
»Auf ein Wort, Exzellenz«, sagte ich.
»Nicht jetzt«, wies er mich barsch ab.
»Doch, genau jetzt.«
Entgegen jeder Gepflogenheit berührte ich Eugeniusâ Arm und führte ihn mit sanfter Gewalt in einen ruhigen Winkel. SchweiÃperlen standen auf Eugeniusâ Stirn, die gewiss nicht von der Luft im Saal herrührten.
»Ihr wollt den Papst töten«, sagte ich in sachlichem Tonfall.
Er schnappte nach Luft, aber er widersprach nicht.
»Eure Familie ist in den Anschlag und Aufstand gegen Leo III. verwickelt, vielleicht ist sie sogar eine der Initiatoren,
und nun wollt ihr in Aachen das vollenden, was Euren Angehörigen in Rom nicht gelang.«
In seinem Gesicht stand die Frage, woher ich dies wusste.
»Ihr habt mir gegenüber einmal angedeutet, was ihr von der Wahl eines Plebejers zum Papst haltet, Eugenius. Es waren Adelige, Patrizier, die hinter dem Anschlag auf Leo III. standen, und Ihr seid ebenfalls ein Patrizier. Hat Eure Familie Euch vor der Tat über das Vorhaben unterrichtet?«
Er zögerte, dann senkte er die Augen zum Zeichen, dass ich bisher mit allem, was ich gesagt hatte, richtiglag, und schlieÃlich schüttelte er den Kopf.
»Dann handelt Ihr entweder auf eigene Faust, oder Eure Familie hat Euch Instruktionen geschickt, als sie erkannte, wohin Leo flüchten würde. Euer erster Plan war, den Papst zu vergiften. Doch woher so rasch das passende Gift nehmen, eines, das langsam wirkt und Euch nicht in Verdacht bringt? Selbst ratlos, bespracht Ihr Euch mit Mathilda.«
Nun flammte ein erster Widerspruch auf. »Lasst Mathilda da heraus.«
»Das geht leider nicht, da sie sich mittendrin befindet, und es ist zudem unnötig, da sie tot ist.«
Er zuckte zusammen, was mich nicht überraschte.
Ich behielt meinen sachlichen Tonfall bei. »Mathilda stammte wie Ihr aus einer vornehmen römischen Familie. Zwischen ihr und Euch gab es also viele Verbindungen - sowie eine Liebschaft. Es versteht sich von selbst, dass sie geheim bleiben musste, denn ein Geistlicher und die Konkubine des Königs bilden ein nicht eben vorzeigbares Gespann der Leidenschaft. Da wir gerade davon sprechen: Wusstet Ihr von dem Kind, das sie in sich trug, bevor sie es hat wegmachen lassen?«
Eugenius atmete tief durch und verneinte.
Es fiel mir schwer, sachlich zu bleiben, doch es gelang mir. »Demnach erzählte Mathilda Euch erst einige Tage später davon, als Ihr sie von der Idee und den damit einhergehenden Problemen eines Giftanschlags auf Papst Leo unterrichtet habt. Um Euch zu helfen, nannte sie Euch eine Giftmischerin, woraufhin Ihr wissen wolltet, woher sie sie kenne, und so weiter und so weiter. Spielte es sich ungefähr so ab?«
»Ja. Mathilda wollte mir helfen und sogar selbst das Gift in den Kelch Leos... Aber
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