Die Giftmeisterin
denen des Verstands. Sollte Papst Leo in der Pfalz zu Aachen dem Dolch zum Opfer fallen, wird alle Welt den König verdächtigen, seine
Hand im Spiel gehabt zu haben, und nichts, was er täte, würde diesen Verdacht zerstreuen. Da er ohnehin nichts zu verlieren hätte, würde er aus der Not einen Vorteil machen und gegen jede Opposition einen Franken zum nächsten Papst wählen lassen. Ist es das, was Ihr wollt? Ein plebejisches Leichtgewicht durch eine fränkische Marionette ersetzen? Bisher tritt das Reich bloà als Schutzmacht des Heiligen Stuhls auf, aber danach würde der Einfluss übermächtig werden. Die römischen Patrizier hätten bald gar nichts mehr zu sagen...«
»Schon gut, schon gut.«
»Rom wäre ein Spielball der Könige, statt dass die Könige sich Roms Meinung beugen...«
»Ich habe Euch verstanden.«
»Die Männer Eurer Familie wären dem Tod geweiht, die Kinder gebrandmarkt auf Lebenszeit...«
»Ermengard!«
»Ja, was ist?«
»Ich werde es nicht tun, Ihr habt mich überzeugt.« Er übergab mir, unbemerkt von anderen, den Dolch, den ich sofort in meinem Gewand verstaute. Eugenius atmete befreit auf. »Ich bin froh, dass er weg ist.«
»Besser, Ihr verlasst jetzt das Bankett. Ihr wart lange genug da, um der Höflichkeit Genüge getan zu haben.«
»Wieder mal habt Ihr recht.« Er runzelte die Stirn. »Aber sagt mir - woher wisst Ihr all das, was Ihr wisst? Ich hatte vorhin das Gefühl, dass Ihr in mich hineinblicken könnt wie auf den Grund eines klaren Sees. Bin ich so leicht zu durchschauen?«
»Nein, keine Sorge.« Ich wich seiner eigentlichen Frage aus.
»Wisst Ihr, wer Mathilda getötet hat?«
»Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Aber hätte ich eine Liste gehabt, wäret Ihr ganz oben gestanden. Verzeiht mir, Eugenius.«
»Ich Euch verzeihen? Ich stehe in Eurer Schuld.«
»Gute Nacht, Eugenius.«
»Gute Nacht.«
45
FÃR MICH WAR der Abend noch lange nicht vorbei. Das Bankett erreichte seinen Höhepunkt. Die Zeit des Tanzes war angebrochen. Aus dem Gewimmel, das vorher herrschte, wurde ein unübersichtliches Durcheinander. Karl und Liutgarde eröffneten den Tanz. Gersvind tanzte mit einem neuen Höfling, der noch nicht begriffen hatte, dass man königliche Konkubinen nicht zum Tanz bat, es sei denn, man ist der König. Emma tanzte mit dem Hofarchivar Einhard, Berta mit Gerold - und Arnulf versuchte offensichtlich, mich zu finden, doch ich versteckte mich hinter einer Säule. Ich hätte es nicht mehr fertiggebracht, mit Arnulf zu tanzen, ihn anzulächeln... Früher am Abend hatte ich ihn angelächelt, hatte mit ihm angestoÃen, doch jetzt verlieà mich die Kraft. Mit einem Schlag war ich erschöpft.
Arnulf forderte eine der älteren Töchter des Königs auf, was ihm als Pfalzgraf zustand. Erst danach wagte ich mich wieder hinter der Säule hervor. Mein Blick schweifte umher: Der Papst aà für drei, Burchard trank für drei, Emma lächelte für drei - aber wo war Gerlindis? Ich merkte erst, dass sie fehlte, als ich Grifo sah, wie er nach ihr Ausschau hielt. Dann blickte er sich wie ein Dieb über die Schulter und humpelte, auf seine Krücken gestützt, aus dem Saal.
Sollte ich ihm folgen? Gerlindis würde mir nie verzeihen, falls ich ihr heimliches Zusammensein mit ihm störte. Sie waren beide hoffentlich vernünftig genug, das Liebesspiel
nicht zu weit zu treiben. Ich beschloss, Grifo zu vertrauen. AuÃerdem - was konnte er schon tun mit einem verletzten Bein?
Beunruhigt war ich erst, als Prinzessin Teodrada unmittelbar nach Grifo das Bankett verlieÃ. Sie hatte die ganze Zeit über schweigsam und mit abweisender Miene auf ihrem Platz gesessen, wie es ihre Art war, um die Wenigen, die es sich erlauben durften, ihr ein Gespräch aufzudrängen oder sie zum Tanz zu bitten, abzuschrecken. Und wie immer war ihr das gelungen. Sie hatte Grifos Abgang beobachtet und hatte es plötzlich sehr eilig, aufzustehen und ihm durch denselben Ausgang zu folgen. Ich glaube, keiner auÃer mir bemerkte ihr Verschwinden, auch ihr Vater nicht, der abwechselnd von Liutgarde und dem Papst in Anspruch genommen wurde.
Eine innere Stimme empfahl mir, ihr nachzulaufen. Gerade als ich den Ausgang erreicht hatte, kreuzte Gerold meinen Weg.
»Fühlt Ihr Euch wohl, Gräfin?«, fragte er.
»Ob
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