Die Gildal Saga (Die Gildal Saga (Sammelband)) (German Edition)
jeden Tag der kommenden Monate für seine Dummheit bezahlen müssen. Nein! Gillian würde jeden Tag für seine Dummheit bezahlen müssen!
6
Brutus erster Kontakt mit Schnee fiel nicht positiv aus. Irgendwie blieb das Zeug immer an seiner Nase kleben, sobald er versuchte, eine Fährte zu erschnüffeln. Gillian hingegen hatte die größte Freude daran, zu sehen, wie der kleine Hund mit den neuen Wetterverhältnissen kämpfte.
Doch was ihr ganz besonders an der dichten Schneedecke behagte, war, dass sie in nächster Zeit keine Entscheidung treffen musste. Und das Wetter fesselte auch Caleb größtenteils ans Haus. Was Gillian mehr Unterhaltung einbrachte, als sie manches Mal haben wollte. Denn Caleb schien es große Freude zu bereiten, sie aufzuziehen oder ihr aberwitzige Geschichten über die Burg und ihre früheren Bewohner zu erzählen.
Eines Abends, als draußen ein Schneesturm tobte, begann er mit einer dieser Geschichten.
„Wisst Ihr eigentlich, Gillian, dass genau hier vor vielen Jahren eine tragische Liebesgeschichte ihren Anfang nahm?“
Gillian saß in der Wohnhalle vor dem Kamin, hatte eine kleine Näharbeit in der Hand und war gespannt, womit Caleb sie da wohl unterhalten wollte. Denn allein schon bei seinem unheilvollen Tonfall musste sie kichern.
„Eine tragische Liebesgeschichte sagt Ihr, Caleb? Sicher einer Eurer weniger erfolgreichen Vorfahren“, versuchte sie ihn zu ärgern.
„Unterbrecht mich nicht!“, mahnte er. „Ich muss die Tragik der Geschichte einfangen!“
Gillian kicherte erneut, riss sich aber zusammen und forderte ihn auf fortzufahren.
„Welches arme Edelfräulein erlebte hier denn eine tragische Liebesgeschichte?“
„Sie hieß Gabi“, improvisierte Caleb und senkte seine Stimme zu einem bedeutungsvollen Flüstern. „Sie war wunderschön und bereits einem Ritter versprochen. Aber der Herr dieser Burg sah sie und wollte sie für sich haben.“
Gillian ließ ihre Näharbeit in ihrem Schoß ruhen und beugte sich etwas näher zu Caleb, um jedes Wort zu verstehen, da er mehr und mehr die Stimme senkte.
„Das war dann Euer Vorfahre, nicht wahr?“, unterbrach Gillian die Schilderung und erntete dafür einen strengen Blick. Sie hatte die dramatische Atmosphäre gestört!
„Der Herr der Burg, mein Vorfahre“, führte Caleb seine Geschichte weiter, „entführte Gabi und hielt sie ein ganzes Jahr gefangen.“
„Das ist ja noch nicht besonders dramatisch“, unterbrach Gillian schon wieder. Aber nur weil sie hoffte, Caleb damit aus dem Konzept zu bringen. Der warf ihr einen strafenden Blick zu und fuhr fort.
„Als der wahre Bräutigam sie endlich aufspürte und befreite, stand sie kurz vor der Niederkunft!“
Gillian war mehr als nur ein bisschen schockiert. Und Caleb, der sie beobachtete, grinste frech und fragte mit normaler Stimme: „Na, kein Kommentar dazu?“
Gillian sparte sich eine Antwort, und Caleb fuhr mit seinem Bericht mit erneut dramatisch gesenkter Stimme fort.
„Natürlich war der wahre Bräutigam nicht bereit, das Kind eines anderen zu akzeptieren. So nahm er es Gabi nach der Geburt sofort weg und legte es hier vor das Burgtor!“
Als Caleb an dieser Stelle die Geschichte beendete, war Gillian enttäuscht. „War das alles?“
„Gefällt Euch das Ende nicht, Gillian?“, wollte Caleb mit einem harmlosen Gesichtsausdruck wissen.
„Das ist doch kein richtiges Ende!“, protestierte das Mädchen. „Kein Wort davon, dass Euer Vorfahre versucht hätte sich Gabi zurückzuholen oder dass das Mädchen ihr Kind wiederhaben wollte?“
„Warum denkt Ihr, dass es so ausgehen müsste?“
„Nun, wenn Euer Vorfahre sie schon entführt hat, dann musste sie ihm doch etwas bedeuten, und er hätte sie sich nicht wegnehmen lassen!“, war Gillian überzeugt. „Und wenn das Mädchen Mutter geworden ist, dann würde sie doch jeden Kerl, der ihr ihr Kind wegnimmt, zur Hölle schicken!“
„Interessantes Argument“, gab Caleb zu. „Vielleicht hasste sie ihren Entführer ja und wollte sein Kind gar nicht.“
Gillian erschauderte. „Wenn es so war, dann war es wirklich eine tragische Geschichte“, gab Gillian zu. Dann sah sie Caleb vorsichtig von der Seite her an. „Euer Vorfahre hat so etwas doch nicht wirklich getan?“
Caleb lachte, um Gillian zu beruhigen. „Nun, ich gehe davon aus, dass nur ein Bruchteil dessen stimmt, was überliefert worden ist. Aber eine Liebesgeschichte gab es auf der Burg definitiv, nur vielleicht nicht gar so
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