Die Gildal Saga (Die Gildal Saga (Sammelband)) (German Edition)
davor, in die Wohnhalle zu gehen. Sie fürchtete sich davor, dass Caleb nicht dort sein könnte. Sie fürchtete sich davor, dass sie feststellen musste, dass er die Burg verlassen hatte. Denn warum sollte er auch hierbleiben, wenn sie doch nichts getan hatte, um ihm auch nur durch den kleinsten Hinweis zu zeigen, dass sie ihn gern hatte. Er hatte alles dafür getan, dass sie sich wohlfühlte, und sie hatte... gar nichts getan.
Nur Dexter hatte etwas in Calebs Verhalten gesehen und in ihrem auch. Und das hatte er versucht, ihr klarzumachen. Sie hätte auf ihn hören sollen. Doch jetzt war es vielleicht schon zu spät dafür. Oder vielleicht auch nicht.
Caleb stand vor dem Kamin in der Halle mit dem Rücken zum Eingang. Gillian konnte es fast nicht glauben, dass er dort stand. Er war nicht einfach gegangen, während sie sich in ihrem Zimmer versteckt hatte wie ein erschrockenes Kaninchen.
Er war noch da, war nicht gegangen. Sie hatte noch eine Chance, eine kleine Chance, um dahinterzukommen, wie es um ihre Gefühle für Caleb wirklich stand – und um seine für sie
„Caleb?“
Seine Rückenmuskeln spannten sich an, ehe er sich zu Gillian umwandte. Ihr wachsamer Blick schmerzte ihn. Er hatte ihr mit seinem Verhalten eine Heidenangst eingejagt. Aber er konnte versuchen, ihr wenigstens die jetzt zu nehmen. Er hatte verspielt! Er wusste es, er hatte keine weitere Chance verdient!
„Ich bringe Euch nach Hause, sobald die Wetterverhältnisse es zulassen, Gillian. Bis dahin braucht Ihr meine Gesellschaft nicht weiter zu ertragen.“
Mehr sagte Caleb nicht; nur einen letzten intensiven Blick auf das Mädchen, das er liebte und glaubte verloren zu haben, wollte er noch wagen und ihr Bild in sich aufnehmen, ehe er ging. Doch um den Raum verlassen zu können, musste er an Gillian vorbei, und die rührte sich keinen Millimeter von dem Durchgang weg, den sie auf diese Weise blockierte.
Und als Caleb nahe genug an Gillian herangekommen war, schlang sie unvermutet die Arme um ihn und drückte sich fast schon verzweifelt an ihn.
„Tut das nicht, Gillian! Tut uns beiden das nicht an! Wenn Ihr mir nur mit einer kleinen Geste zeigt, dass Ihr mich gernhabt, dann kann ich Euch nicht mehr gehen lassen!“
„Dann lasst mich nicht gehen!“
* * *
Gillian kicherte, als sie eine Handvoll des schmelzenden Schnees nahm, eine kleine Kugel formte und sie auf Caleb warf. Sie wollte ihn gar nicht treffen, sondern nur seine Aufmerksamkeit auf sich lenken, als er mit Luzifer am Zügel aus dem Stall kam. Der Schneeball traf die Holzwand neben der Stalltür und zerplatzte beim Auftreffen, so dass ein paar Schneespritzer Caleb und das Pferd trafen.
Luzifer schnaubte protestierend, und Caleb suchte sofort nach dem Übeltäter. Gillians unschuldiger Engelsblick konnte ihn nicht täuschen.
„Es ist Euch wohl langweilig, Lady Gillian. Aber glaubt mir, alle Eure Streiche sind in meinem Herzen gespeichert und werden irgendwann gerächt werden!“ Bei diesen Worten fasste er sich mit der rechten Hand an die Stelle, die er soeben erwähnt hatte.
Von dieser Drohung war Gillian nicht besonders beeindruckt. Wie sollte sie auch, wenn Caleb sie jeden Tag aufs Neue wie eine Prinzessin behandelte. Nie wieder war er aus der Haut gefahren oder hatte die Beherrschung verloren so wie am Anfang des Winters. Nicht einmal die Stimme erhob er, wenn er sie doch einmal rügte. Er versuchte den Schreck, den er ihr eingejagt hatte, mit Sanftmut vergessen zu machen. Und er nutzte ihre langsam wachsende Zuneigung nicht aus.
Sie war immer noch nicht ganz ihren Kinderschuhen entwachsen, und Caleb wollte sie nicht damit verstören, sie wie eine erwachsene Frau zu behandeln. Darum blieben die Gesten, die seine Zuneigung ausdrückten auch auf einer fast schon väterlichen Ebene.
Ein kurzes Streifen der Hand, eine zarte Berührung der Wange, ein flüchtiger Kuss auf die Stirn. Kleine Gesten nur, die Gillian nicht überforderten, ihr aber seine Zuneigung zeigten.
Und dann waren da natürlich auch noch die Überraschungen. Gillian liebte Überraschungen, so wie beispielsweise den Fellumhang, den er ihr am Weihnachtstag präsentiert hatte oder den Lederriemen, der zu Brutus‘ Halsband passte, das Caleb gemacht hatte. Und als er ihr vor zwei Tagen die ersten Frühlingsblumen brachte, war sie ihm sogar um den Hals gefallen. Danach wäre sie zwar vor Verlegenheit fast gestorben, aber für Caleb war es ein Zeichen dafür, dass ihre Zuneigung für ihn stärker wurde.
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