Die Gilde der Diebe
oder der kleine Starling stirbt. Ich gewinne also so oder so.«
»Vermutlich«, sinnierte die Kopfgeldjägerin. »Trotzdem wäre es schade, wenn Jonathan sterben würde. Ich genieße unsere Begegnungen.«
»Erzähl mir nicht, dass du Gefallen an dem Jungen findest. Solch eine Schwäche geziemt sich nicht für eine Ripper. Oder macht dich die Tatsache, dass du eine Frau bist, empfänglich für Momente von einer solchen … Zartheit?«
Marianne hob eine Braue.
»Du kannst mich gerne jederzeit auf die Probe stellen, Vampir.«
Vendetta schnaubte.
»Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird. Noch nicht.«
Die Kopfgeldjägerin strich eine leuchtend grüne Strähne hinter ihr Ohr und zog gedankenverloren die Stirn kraus.
»Weißt du, ich habe da so ein unbestimmtes Gefühl, dass er es schaffen wird, den Stein in seine Finger zu bekommen. Er ist ein findiges Kerlchen.«
»Würdest du darauf wetten?«
»Selbstverständlich.«
»Wenn der Junge stirbt, schuldest du mir zehn Guineas. Wenn er den Stein bringt, schulde ich dir zehn Guineas.«
»Und der Sieger darf Ismael erledigen.«
Vendettas Reißzähne blitzten in der Dunkelheit auf.
»Wirklich, Marianne, der wertvollste Schatz von Darkside bist du.«
6
Als Jonathan die verdutzte Raquella durch die Eingangstür seines Zuhauses führte, war bereits klar, dass Elias Carnegie äußerst schlecht gelaunt war. Und das schon, bevor er gehört hatte, was im Zoo vorgefallen war und was Vendetta verlangt hatte.
»Verdammter Vampir! Ich werde ihn in Stücke reißen!«, fluchte er und schleuderte sein Glas gegen die Küchenwand. Die anderen im Raum beobachteten ihn und schwiegen erschrocken.
»Schluss mit seinen Forderungen! Schluss mit seinen verfluchten Spielchen!«
»Elias, beruhige dich!«, rief Alain.
Der Wermensch beugte sich über Jonathan, und der spürte, wie die Bestie in Carnegie versuchte, sich an die Oberfläche zu kämpfen.
»Du kapierst es nicht, Junge, oder?«, flüsterte er. »Du denkst, dass du es irgendwie schaffen kannst, diesen Stein für sie zu stehlen, und das war’s dann. Du verstehst das nicht. Es wird nie vorbei sein. Sie werden dich nie in Ruhe lassen. Das Beste für dich – und für deine Freundin – wäre es, wenn ich Vendetta und der Kopfgeldjägerin einen Besuch abstatten würde.«
Jonathan sah Carnegies wilden Blick, hörte die rasende Wut in dessen Stimme und fasste einen Entschluss.
»Nein«, erwiderte er ruhig, aber bestimmt. »Ich habe bereits eine Mutter verloren. Ich werde nicht noch eine verlieren. Wenn Miss Elwood in Sicherheit ist, kannst du machen, was du willst. Aber solange wir diesen bescheuerten Stein nicht haben, wirst du sie nicht weiter in Gefahr bringen. Verstanden?«
Carnegie fluchte und diskutierte bis spät in die Nacht, aber Jonathan ließ sich nicht umstimmen. Schließlich sah der Wermensch ein, dass er dieses eine Mal unterlegen war, und gab nach.
»In Ordnung. Ich begleite dich. Aber das ist reine Zeitverschwendung und du solltest das wissen. Ihr beide solltet das wissen.«
Der Wermensch warf Alain einen letzten bedeutungsvollen Blick zu, dann stampfte er die Treppe rauf und fluchte leise vor sich hin. Jonathans Vater blieb gelassen und hob eine Augenbraue.
»Was ist los, Dad?«
»Ach, nichts. Ich glaube nur, ich habe den Namen Cornelius Xavier schon mal gehört. Vielleicht blättere ich noch in ein paar Büchern, bevor ich ins Bett gehe, und sehe, ob ich etwas rausfinden kann.«
»Brauchst du Hilfe?«
Alain schüttelte den Kopf.
»Du brauchst deinen Schlaf. Du musst morgen ein Anwesen auskundschaften.«
Cornelius Xaviers Haus lag in Kensington, einem reichen Stadtviertel im Südwesten Londons, wo sich millionenschwere Appartements und gigantische Villen an exklusive Boutiquen und riesige Einkaufstempel reihten. Hier residierten die Reichen und Schönen zwischen ihren Skiurlauben und den Karibikkreuzfahrten.
Die begehrtesten Häuser lagen an der Slavia Avenue, einer ruhigen Allee, die sich von der Kensington High Street aus einen halben Kilometer lang eine leichte Anhöhe hinaufwand. Früh am nächsten Morgen erforschten Jonathan und ein ziemlich übellauniger Wermensch die Umgebung. Auf der rechten Seite erstreckte sich eine lang gezogene Grünfläche. Auf der linken Seite thronte ein Dutzend riesiger Häuser. Einige Botschaften trugen ihre Nationalflaggen so stolz zur Schau wie Soldaten ihre Orden. Alle Gebäude lagen hinter hohen Mauern und Dutzenden Überwachungskameras.
Obwohl die Slavia
Weitere Kostenlose Bücher