Die Gilde der Diebe
und jetzt bist du gefangen … wie eine Fliege in einer Falle.«
Das Geräusch von zerreißendem Stoff erklang und sechs dürre Beine brachen durch Xaviers Robe. Sie dehnten und streckten sich in die Luft, als würden sie es genießen, ihrem Gefängnis entkommen zu sein. Die Reste der Robe baumelten verloren über dem voluminösen Bauch. Was den Anblick noch schrecklicher gestaltete, war die Tatsache, dass Xaviers Arme und sein Kopf nach wie vor menschlich aussahen.
Das grausame Knacken wie von einem brechenden Knochen war zu hören, als sich sein Unterkiefer absenkte und den Mund zu einem höllischen Schlund erweiterte. Xavier ließ sich auf seine Spinnenbeine fallen und nun hatten seine Bewegungen nichts Unnatürliches mehr an sich. Er krabbelte auf Jonathan zu, die Beine machten klappernde Geräusche auf dem Boden und sein Schlund öffnete sich.
»Lauf!«, rief Correlli und stieß Jonathan zur Seite. Jonathan stolperte davon, ohne zu wissen, wohin er lief. Blindlings stieg er über die Seidenstränge hinweg oder duckte sich unter ihnen hindurch und steuerte auf das Zentrum des Netzes zu. Hier waren die Stränge so dick wie Seile. Sein Bein verfing sich zwischen zwei dickenSeidenfäden und er fiel zu Boden. Das Geklapper von Xaviers Beinen wurde lauter und lauter. Jonathan strampelte sich frei, kroch über den Boden und war vor Verzweiflung den Tränen nahe.
Ein vertrautes Rauschen ertönte. Als Jonathan den Kopf drehte, sah er Correlli. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und hielt sich eine brennende Fackel dicht vor den Mund.
Der Feuerschlucker spie eine Flamme aus, die das Netz um ihn herum mit einem Knistern in Brand setzte. Die Kammer füllte sich mit dem beißenden Geruch der brennenden Seide. Mit einem wütenden Aufschrei brach Xavier die Verfolgung ab und stürmte auf den Feuerschlucker zu.
Da Jonathan nun ein paar wertvolle Sekunden gewonnen hatte, suchte er den Raum hektisch nach einer Waffe ab oder nach irgendetwas, das er als Waffe nutzen konnte. Hoch oben unter der Decke, wo das Spinnenetz am dichtesten war, entdeckte er ein kleines Bündel, das in die Seidenstränge eingewickelt war. An seiner Spitze lugte eine einzelne, verräterisch rote Haarsträhne heraus. Raquella!
Jonathan packte den nächstbesten dicken Seidenfaden und zog sich Stück für Stück daran hoch. Die Seidenstränge waren tückisch rutschig, und für jeden Meter, den er hochkletterte, rutschte er einen halben wieder herunter. Jonathan hielt sich mit so viel Kraft fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Während er seinen quälenden Aufstieg fortsetzte, schleuderte Correlli eine weitere Flamme gegen die Spinne, die mit erschreckenderLeichtigkeit auswich. Der Feuerschlucker war auf dem Rückzug und bahnte sich seinen Weg durch das Spinnennetz. Seine Fackel wurde immer schwächer. Jonathan konzentrierte sich auf Raquella, biss die Zähne zusammen und verdoppelte seine Anstrengungen.
Je höher er kam, umso engmaschiger wurde das Spinnennetz, sodass er schließlich auch seine Füße einsetzen konnte, um schneller nach oben zu klettern. Obwohl er nun etwas leichter vorankam, schwankten die Stränge unter seinem Gewicht immer noch gefährlich. Er wusste, dass ein Abrutschen ihn auf den harten Steinboden krachen lassen würde.
Nahe an der Decke griff Jonathan nach einem Strang, der über seinem Kopf verlief, und überquerte das Netz, wobei er bei dem Versuch, das Gleichgewicht zu halten, vor und zurück schwang.
»Ich komme, Raquella!«, rief er ihr zu. »Halte durch!«
Als er Raquellas Kokon erreicht hatte, hielt er sich daran fest. Selbst aus dieser Nähe war das einzig sichtbare Zeichen von Raquella unter der Seide ihre rote Haarsträhne. Jonathan zerrte verzweifelt an dem Kokon und riss Hände voll Seidenstränge aus, bis er schließlich ihr Gesicht sehen konnte.
»Raquella!«, rief er verzweifelt. »Geht es dir gut?«
Das Dienstmädchen antwortete nicht. Ihr Gesicht war bleich und ihre Augen waren starr vor Schreck.
Da spürte Jonathan, dass der Strang, an dem er hing, heftig zu schaukeln begann. Er blickte nach unten undsah voller Entsetzen, dass das Spinnenbiest auf ihn zu kletterte. Eine Armee aus Beinen und Armen trieb den massigen Körper rasch vorwärts. Von Correlli war nichts zu sehen. Jonathans erster Gedanke war zu fliehen, aber er wollte auf keinen Fall Raquella allein lassen. Er zerrte fieberhaft an dem Kokon, bis es ihm schließlich gelang, den Oberkörper des Dienstmädchens freizulegen. Raquellas Arme
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