Die Gilde der Schwarzen Magier - Die Novizin - The Magician's Guild 2: The Novice
Besteck griff, aber ansonsten wurde sie ignoriert.
Wie schon am vergangenen Tag entwickelte sich das Gespräch zu Anfang nur zögerlich. Die Erstsemester waren schüchtern und unsicher. Dann erzählte Ahrind dem neben ihm sitzenden Kano, dass er ein Jahr lang in Vin gelebt habe, und die anderen begannen, sie über das Land zu befragen. Schon bald kam die Rede auf die Häuser und Familien anderer Novizen, bis Ahrind schließlich zu Sonea hinüberblickte.
»Du bist also in den Hüttenvierteln aufgewachsen?«
Alle Köpfe drehten sich in Soneas Richtung. Sie schluckte den Bissen, den sie im Mund gehabt hatte, hastig hinunter.
»Ich habe ungefähr zehn Jahre dort gelebt«, antwortete sie. »Bei meinem Onkel und meiner Tante. Danach hatten wir ein Zimmer im Nordviertel.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war. Mein Vater...« Sie zuckte die Achseln. »Er ist fortgegangen.«
»Und hat dich ganz allein in den Hüttenvierteln zurückgelassen? Wie schrecklich!«, rief Bina.
»Meine Tante und mein Onkel haben sich um mich gekümmert.« Sonea brachte ein Lächeln zustande. »Und ich hatte viele Freunde.«
»Triffst du dich noch mit deinen Freunden?«, wollte Issle wissen.
Sonea schüttelte den Kopf. »Nicht oft.«
»Was ist mit diesem Dieb, mit dem du befreundet bist, dem Jungen, den Lord Fergun im Kerker unterhalb der Universität eingesperrt hatte? Hat er dich nicht einige Male hier in der Gilde besucht?«
Sonea nickte. »Ja.«
»Er gehört zu den Dieben, nicht wahr?«, fragte Issle.
Sonea zögerte. Sie konnte es abstreiten, aber würden sie ihr glauben?
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. In sechs Monaten kann sich vieles verändern.«
»Warst du auch eine Diebin?«
»Ich?« Sonea lachte leise. »Nicht jeder, der in den Hüttenvierteln lebt, arbeitet für die Diebe.«
Die anderen schienen sich ein wenig zu entspannen. Einige nickten sogar. Issle blickte in die Runde, dann runzelte sie finster die Stirn.
»Aber du hast gestohlen, nicht wahr?«, sagte sie. »Du warst eine von diesen Taschendiebinnen auf dem Markt.«
Sonea spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und sie wusste, dass sie sich mit dieser Reaktion selbst verraten hatte. Wenn sie Issles Vorwurf abstritt, würden die anderen glauben, dass sie log. Vielleicht würde die Wahrheit ihr Mitgefühl erregen...
»Ja, als Kind habe ich Essen und Geld gestohlen«, erklärte sie und zwang sich, den Kopf hoch zu halten und Issle trotzig anzusehen. »Aber nur, wenn ich großen Hunger hatte oder wenn der Winter nahte und ich Schuhe und warme Kleidung brauchte.
Issles Augen leuchteten triumphierend. »Dann bist du also doch eine Diebin.«
»Aber sie war damals noch ein Kind, Issle«, protestierte Ahrind schwach. »Du würdest ebenfalls stehlen, wenn du nichts zu essen hättest.«
Die anderen wandten sich zu Issle um, aber diese warf lediglich abschätzig den Kopf in den Nacken, dann beugte sie sich zu Sonea vor und bedachte sie mit einem kalten Blick.
»Sag mir die Wahrheit«, verlangte sie. »Hast du jemals jemanden getötet?«
Sonea erwiderte Issles Blick, während Wut in ihr aufstieg. Wenn Issle die Wahrheit erführe, würde das Mädchen vielleicht zögern, bevor sie sie das nächste Mal zu quälen versuchte.
»Ich weiß es nicht.«
Die anderen Novizen starrten Sonea fassungslos an.
»Was soll das heißen?«, fragte Issle höhnisch. »Entweder du hast es getan, oder du hast es nicht getan.«
Sonea sah das Mädchen mit schmalen Augen an. »Also schön, wenn du es unbedingt wissen willst. Eines Nachts vor ungefähr zwei Jahren hat mich ein Mann gepackt und in eine Gasse gezerrt. Er wollte... nun, du kannst davon überzeugt sein, dass er mich nicht nach dem Weg fragen wollte. Als ich eine Hand frei bekam, habe ich ihm mein Messer in den Leib gerammt und bin davongelaufen. Ich bin nicht bei ihm stehen geblieben, deshalb weiß ich nicht, ob er es überlebt hat oder nicht.«
Daraufhin herrschte minutenlang Schweigen an ihrem Tisch. »Du hättest schreien können«, meinte Issle schließlich.
»Glaubst du wirklich, jemand würde sein Leben aufs Spiel setzen, um irgendein armes Mädchen zu retten?«, fragte Sonea kalt. »Der Mann hätte mir die Kehle durchschneiden können, um mich zum Schweigen zu bringen, oder ich hätte mit meinem Schreien nur noch mehr Gesindel angelockt.«
Bina schauderte. »Wie schrecklich.«
Das Mitgefühl des anderen Mädchens entzündete einen schwachen Hoffnungsfunken in Sonea,
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