Die Gilde von Shandar: Die Spionin
sich, ob er vielleicht zu alt wurde, um sich mit solchen Situationen zu befassen.
Wird die Ankunft des Kaisers von Shandar Klarheit bringen oder nur noch mehr Verwirrung stiften?, fragte er sich resigniert.
Der neue Botschafter, Lord Danar, war ein sehr angenehmer Zeitgenosse, aber Malo hatte gespürt, dass er am Morgen nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Der junge Mann hatte flüssig geredet und zugegeben, den toten Eindringling gekannt zu haben, ein Geständnis, das Malo nicht erwartet hatte. Doch unter seiner ruhigen Fassade und dem ehrlichen Gesicht hatte der Botschafter etwas verborgen. Außerdem war der König sicher, dass der Diener des shandesischen Botschafters mehr gewusst hatte, als er gesagt hatte. Vielleicht könnte der Junge ein paar Informationen liefern, wenn man ihn etwas anspornt, überlegte Malo. Der Trick dabei war, ihn lange genug vom Botschafter fernzuhalten, um ihn eingehender zu befragen. Das war vielleicht nicht einfach, aber es war eine Überlegung wert.
Ja, entschied er. Der kleine Diener konnte der Schlüssel dazu sein, das ganze Geheimnis zu lüften. Ich werde den Wachen befehlen, ihn abzufangen, wenn er das nächste Mal etwas im Palast zu erledigen hat, und ihn zu mir zu bringen. Ohne die schützende Anwesenheit seines Herrn redet der Junge vielleicht mehr.
Traurig lächelte der König. Er würde ihm nichts tun, aber wenn notwendig, würde er ihn einschüchtern. Einem kleinen Diener, der vom König direkt befragt wurde, würde es schwerfallen, nicht zu antworten. Malo war von Natur aus kein hinterhältiger Mann, aber merkwürdige Situationen erforderten drastische Maßnahmen.
Femke erreichte die Gästezimmer im Westflügel. Sie rief nach Danar, erhielt aber keine Antwort. Das überraschte sie nicht. Ihr erster Impuls war, umzudrehen und zurückzugehen, in der Hoffnung, ihm zu begegnen, doch dann überlegte sie, dass er auf unterschiedlichen Wegen zu seinem Zimmer zurückgelangen konnte. Nein. Femke war zu ihrem Quartier gegangen, um ihn hier zu treffen, also würde sie bleiben.
Instinktiv wanderte Femkes Blick zu den Sicherheitsmaßnahmen, die sie an den Fenstern angebracht hatte, und sie bemerkte, dass mindestens eine davon berührt worden war. Sofort war sie in Alarmbereitschaft. Vielleicht war derjenige, der sich am Mechanismus zu schaffen gemacht hatte, noch da.
Als sie eintrat, stellten sich der Spionin die Nackenhaare auf. Sie tat, als sei alles normal, aber ihre Sinne waren darauf ausgerichtet, den Eindringling zu finden. Alles war still. Es gab nicht viele Stellen, an denen sich jemand verstecken konnte. Sie überlegte schnell. Wenn ich hier eingebrochen wäre, wo würde ich mich dann verbergen?, fragte sie sich.
Im Schlafzimmer, entschied sie. Wer ins Schlafzimmer geht, ist meist nicht sehr aufmerksam. Dort würde sie einen Eindringling am ehesten finden.
Anstatt sich durch ihre Bewegungen zu verraten, wollte Femke direkt hineinspringen. Da sie ihre Anwesenheit bereits dadurch preisgegeben hatte, dass sie nach Danar gerufen hatte, als sie hereinkam, nutzte es ihr nichts, sich anzuschleichen. Stattdessen bewaffnete sie sich mit einer für diese Zwecke ausgezeichnet geeigneten Öllampe, die einen Metallfuß hatte, und stieß die Tür weit auf, um zu sehen, ob jemand dahinter stand. Die Tür schwang ungehindert auf und schlug an die Wand. Dort war also niemand.
Femke kniete sich hin und sah unter dem großen Bett nach. Dort war ebenfalls nichts. Offensichtlich versteckte sich auch niemand hinter den Vorhängen, und die Schranktüren waren vollständig geschlossen – was sich von innen schwer bewerkstelligen ließ -, dennoch näherte sich Femke dem großen hohen Holzschrank mit Vorsicht.
Sie zog die Türen an den Griffen auf und sprang gleichzeitig zurück. Abgesehen von der Kleidung war der Schrank leer. Es war niemand im Zimmer. Erleichtert seufzte sie auf und ging ins Wohnzimmer zurück.
Als sie sich umwandte, um das Bad zu überprüfen, spürte Femke eine Bewegung hinter sich. Sie zögerte keine Sekunde. Ohne Vorwarnung drehte sie sich auf dem linken Absatz und trat mit dem rechten Fuß heftig nach oben. Der Fuß wurde von einem blitzschnell erhobenen Handgelenk abgeblockt, doch noch bevor sie sich auf das Gesicht des Mannes konzentrieren konnte, ließ sie dem Tritt einen Überschlag nach hinten folgen, bei dem sie den Mann mit dem linken Fuß unters Kinn traf, sodass er zurückstolperte.
»Au! Genug!«, protestierte eine bekannte Stimme.
Bei ihrem
Weitere Kostenlose Bücher