Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Überschlag ließ Femke die Lampe fallen, fing sich mit den Händen ab und sprang geschickt wieder auf die Füße. Automatisch nahmen ihre Hände eine Verteidigungshaltung ein. Reynik sah sie verlegen an und rieb sich mit der einen Hand das Kinn, während er ihr mit der anderen bedeutete aufzuhören.
»Reynik!«, zischte Femke wütend. »Was machst du denn hier? Du sollst doch auf Shalidar aufpassen!«
»Das habe ich ja versucht. Ich bin ihm von seinem Haus aus gefolgt, aber Shalidar ist ein recht gerissener Geselle. Einer seiner eigenen Männer hat ihn beobachtet. Ich bin froh, dass Ihr mich davor gewarnt habt, sonst hätten sie mich entdeckt. Er hat mich schön in der Oberstadt herumgeführt, bevor er zum Palast gekommen ist. Dieser verdammte Kasten ist ein einziges Labyrinth. Ich hatte gedacht, mich einigermaßen auszukennen durch meine Ausflüge in den letzten Wochen, aber ich habe ihn verloren. Daher hielt ich es für das Beste, hierherzukommen und Euch zu warnen.«
»Da bist du ein wenig zu spät dran«, beschwerte sich Femke, deren Ärger noch nicht ganz verflogen war. »Er hat vor nicht einmal zehn Minuten zugeschlagen.«
»Danar?«, fragte Reynik sofort ängstlich.
»Keine Ahnung«, seufzte Femke und schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn aus der Flugbahn von Shalidars Messer stoßen können. Dann habe ich ihm gesagt, er solle hierherkommen, während ich Shalidar verfolge. Aber den habe ich nicht eingeholt und Danar ist verschwunden. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich befürchte das Schlimmste.«
»Oh Shand!«, rief Reynik mit leisem Entsetzen in der Stimme.
»Was? Was ist, Reynik?«
»Bevor ich ihn verloren habe, hat sich Shalidar mit jemandem im Palast getroffen. Ich weiß nicht, wer es war, ich habe die Person, mit der er gesprochen hat, nicht gesehen. Es tut mir leid, Femke, aber ich bin Soldat, kein Spion. Shalidar gab ihm Instruktionen. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich vermute, dass Shalidar im Palast nicht allein arbeitet.«
Ein Gefühl von Übelkeit überkam Femke. Wie die letzten Teile eines Puzzles fügten sich einige Dinge ineinander. Und das Bild, das sich daraus ergab, war nicht schön. Was war, wenn der Komplize von Shalidar hier im Palast nicht nur einer seiner Speichellecker war, sondern ein anderer Auftragsmörder? Das könnte eine Menge Dinge leicht erklären. Als Femke die Person verfolgt hatte, die das Messer nach Danar geworfen hatte, hatte sie bei der Jagd etwas gestört. Da sie angenommen hatte, dass Shalidar das Messer geworfen hatte, hatte sie das Gefühl nicht erklären können. Jetzt ergab es einen Sinn. Der Messerwerfer war nicht Shalidar gewesen. Und das bedeutete, dass …
»Bei Shand!«, stieß Femke hervor, wandte sich um und rannte zur Tür.
»Was?«, rief Reynik, der ihr automatisch durchs Zimmer folgte. »Was ist denn los?«
»Shalidar hat das Messer nicht geworfen. Danar ist in größerer Gefahr, als ich dachte.«
Femke riss die Tür auf und rannte in den Gang, wo sie abrupt stehen blieb. Reynik folgte ihr und war zuerst erstaunt über ihren Gesichtsausdruck, der Freude, Schrecken, Furcht und Unsicherheit gleichzeitig zeigte. Er folgte ihrem Blick und sah Lord Danar, der wie betrunken auf sie zustolperte.
Femke schien wie angewurzelt, aber Reynik half dem jungen Edelmann, der ihm mit einem schmerzlichen Stöhnen in die Arme sank. Reynik stolperte, als Danar die Kontrolle über seine Glieder verlor und erschlaffte, wodurch der junge Soldat sein ganzes Gewicht tragen musste.
»Schnell! Hilf mir, ihn ins Zimmer zu bringen! Er muss verletzt sein. Nimm seinen anderen Arm, dann tragen wir ihn beide. Fertig?«, befahl Reynik Femke. Sein bestimmter Ton und seine genauen Anweisungen brachten Femke wieder zur Besinnung. Zusammen schleppten sie Danar ins Wohnzimmer und legten ihn aufs Sofa.
»Wo ist nur das Personal, wenn man es mal braucht?«, stieß Femke ärgerlich hervor, als sie sich neben den jungen Lord kniete, um ihm zu helfen.
»Wir können von Glück sagen, dass sie nicht hier sind«, wandte Reynik ein. »Meine Anwesenheit wäre schwer zu erklären. Wir sollten sie da raushalten, in Ordnung? Wir wollen doch nicht noch mehr Ärger.«
Femke ignorierte seine Bemerkung und erwiderte: »Gib mir einen Lappen, ja? Ich muss das Blut abwaschen, damit wir sehen können, mit was wir es hier zu tun haben.«
An Danars Hals war viel Blut, doch als sie es abgewischt hatte, konnte sie sehen, dass der Schnitt nur oberflächlich war. Da musste
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