Die Gilde von Shandar: Die Spionin
so kurz geschnitten worden wie die der Soldaten neben ihr. Ihre Hände und Füße steckten in eisernen Fesseln. Sie hielt den Kopf gesenkt und ließ die Schultern hängen. Von dem Feuer, von dem so viel geredet worden war, war nicht viel zu verspüren. Sie wirkte nicht wie eine bösartige Mörderin.
Die Wachen brachten Femke bis etwa fünf Schritte vor König Malos Thron. Dort blieben sie stehen.
»Danke, Männer. Ihr könnt der Gefangenen die Fesseln abnehmen. Ich glaube nicht, dass Botschafterin Femke bei so vielen Wachen eine Gefahr darstellt.«
Femke hob die Augen zum König auf und schenkte ihm einen Blick, in dem die Dankbarkeit für eine unerwartete Freundlichkeit zu lesen war. Die Wachen schienen weniger erfreut über den Befehl. Zögernd gehorchten sie. Die Fesseln wurden Femke abgenommen und sie rieb sanft ihre Handgelenke. Wo das Metall gescheuert hatte, waren rote Male erkennbar, und Reynik bemerkte, dass einige der anwesenden Leute ebenfalls mitfühlend ihre Handgelenke rieben.
»Gut, so ist es besser. Nun, ich glaube, dann können wir anfangen«, stellte Malo entschlossen fest. »Botschafterin Femke, Ihr seid vor das königliche Gericht von Thrandor gebracht worden, um Euch der Anklage zu stellen, die Euch den Mord von erstens Baron Anton und zweitens Graf Dreban vorwirft. Bekennt Ihr Euch schuldig?«
Es entstand eine Pause. Reynik konzentrierte sich auf Shalidars Gesichtsausdruck, während er auf die Antwort wartete.
»Nicht schuldig in beiden Fällen, Euer Majestät«, erklärte Femke laut und deutlich.
Über Shalidars Gesicht flog ein Ausdruck von Zorn und Enttäuschung. Obwohl Reynik ein Stück weit entfernt saß, konnte er die Emotionen deutlich erkennen. Doch sobald sich der erste Zorn gelegt hatte, hob der Killer resigniert und abwartend die Augenbrauen. Der Augenblick war vorüber. Shalidar konzentrierte sich wieder auf das, was im Gerichtssaal vor sich ging.
»Nun gut. Das Gericht nimmt zur Kenntnis, dass Botschafterin Femke die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen von sich weist. Lord Brenden, bitte beginnt mit der Verlesung der Anklageschrift.«
Der König lehnte sich zurück und versuchte, vorurteilsfrei zu bleiben. Trotz allem, was er mit Femke über den heutigen Prozess vereinbart hatte, war er entschlossen, die vorgelegten Beweise zu prüfen, denn schließlich entschied seine Interpretation dessen, was er zu hören bekam, über das Leben der jungen Frau. Wenn er jemals seine Urteilskraft gebraucht hatte, dann jetzt. Immer noch nagten viele unbeantwortete Fragen an ihm. Als Femke sich freiwillig gestellt hatte, um sich vor Gericht für die Morde zu verantworten, hatte sie darauf beharrt, dass heute all seine Fragen beantwortet werden würden. Er hoffte, dass sie recht hatte.
Lord Brenden erhob sich und ging zum Podest. Er verneigte sich erst vor Malo, dann vor Surabar, entrollte ein Pergament und wandte sich an den Saal, um es zu verlesen.
Brenden war eine gute Wahl gewesen. Seine klare, durchdringende Stimme war ausdrucksvoll und leidenschaftlich. Durch seine unterschiedliche Lautstärke und Betonung erwachten die Worte auf dem Pergament, in dem die Geschehnisse der letzten Wochen, als Baron Anton und Graf Dreban ihr Leben verloren, genau beschrieben waren, zum Leben. Lord Brenden war der geborene Geschichtenerzähler. Er hatte das seltene Talent, seine Zuhörer mit seiner Erzählung, wann immer er wollte, an jeden beliebigen Ort zu entführen. Er war in dieser Kunst so bewandert, dass selbst Reynik feststellte, dass er das Bild vor Augen hatte, wie Femke durch die Gänge des Königspalastes schlich, um Baron Anton zu ermorden.
Alle sahen sie mit Anton kämpfen und ihm das Messer tief ins Herz stoßen, während der Baron ihr mit dem letzten Atemzug unbemerkt die Brosche vom Kleid riss. Dann kam die spektakuläre Flucht aus dem Palast, bei der sie Fähigkeiten an den Tag legte, die kein normaler Botschafter besaß. Sie kletterte über schmale Simse, sprang todesmutig in einen Baum und kletterte an der glatten Palastmauer hinauf. Lord Brenden hielt einen Moment inne und ließ seinen Blick durch den Gerichtssaal schweifen, als ob er sich vergewissern wollte, dass seine hypnotisierende Geschichte ihre volle Wirkung entfaltet hatte.
»Dann«, sagte er und machte wieder eine dramatische Pause, »dann nutzte Botschafterin Femke ihre Fähigkeiten als Killer, um einer großen Streitmacht der königlichen Garde zu entgehen, die die Stadt nach ihr durchsuchte. Zuerst glaubte man,
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