Die Gilde von Shandar: Die Spionin
heute nirgendwo mehr hin.«
Als seine Tochter aus dem Salon nebenan kam, sah Danar, warum. Das arme Mädchen war stark übergewichtig und nicht sonderlich hübsch, ihr Haar war stumpf und dünn. Und das versuchte sie auch nicht, wie manche Mädchen, durch geschickte Kleidung und Make-up wettzumachen. Die junge Frau schien das alles bereits aufgegeben zu haben.
Lord Danar entschuldigte sich für seinen Irrtum und ging.
»Bei meinem Pech werde ich noch feststellen, dass Alyssa die ganze Zeit in Shandrim gewesen ist«, grollte er, als er sein Pferd ins Zentrum der Stadt lenkte. »Ich wette, ich habe mir den Hintern wund geritten und bin im ganzen Land herumgetrabt, während sie hier in der Stadt mit meinen Freunden feiert. Sharyll und die anderen lachen sich auf meine Kosten sicherlich halbtot. Nun, wenn schon. Ich werde Sharyll aufsuchen, aber von mir aus können sie ruhig lachen, wenn ich nur Alyssa wiedersehe.«
In der Stadtmitte angekommen, ging Danar direkt zu Sharylls Haus, um zu sehen, ob seine Furcht begründet war. Sharyll lachte ihn wegen seiner unnützen Bemühungen tatsächlich aus. Er nahm auch sein Geld an, aber was Danar am meisten traf, war, dass Sharyll seit der Krönungszeremonie ebenfalls nichts von Alyssa gehört hatte.
Lord Danar war müde, enttäuscht und fast dazu bereit, die Suche nach Alyssa aufzugeben – fast, aber noch nicht ganz. Es gab noch eine Spur, die er nicht verfolgt hatte. Das letzte Mal, als Danar sie gesehen hatte, hatte sie mit Lord Kempten gesprochen. Vielleicht wusste der alte Adlige ja, wohin sie gegangen war? Es war zumindest einen Versuch wert, dachte er.
Wenn der alte Kempten nichts weiß, gebe ich es vorerst auf, versprach sich Danar selbst, als er Sharylls Haus verließ. Alyssa taucht schon wieder auf, ich muss nur dafür sorgen, dass alle nach ihr Ausschau halten. Und wenn sie da ist, dann werde ich bestimmt auch da sein und mehr über sie herausfinden. Wenn ich nur genau wüsste, was sie eigentlich so attraktiv macht …
Der unvollendete Gedanke beunruhigte ihn. Er konnte nicht sagen, was an Alyssa ihn dazu antrieb, solche Anstrengungen zu unternehmen, sie wiederzusehen. Die junge Frau war zwar sehr hübsch, aber auch nicht schöner als viele andere junge Damen bei Hofe. Er hatte schon viele Frauen umworben, die anziehender gewesen waren. Da war etwas – eine undefinierbare Art an ihr, die ihn wünschen ließ, er könne sie besser kennenlernen. War es, weil Alyssa so tat, als sei sie schwer zu bekommen? Oder weil die junge Dame von seinem Interesse tatsächlich nicht sonderlich angetan war? Es ließ sich schwer sagen. Für Danar war beides ein Novum und daher bot beides den Reiz des Neuen.
Er war sich sicher, dass er sie wiedersehen wollte. Er versuchte, sich davon zu überzeugen, dass er nur eine Gelegenheit wollte, ihren Charakter zu erforschen, aber im Grunde seines Herzens musste er zugeben, dass das ein Vorwand war. Auf jeden Fall kam er nicht weiter, bevor er sie nicht gefunden hatte, und das erwies sich als schwieriger als erwartet.
KAPITEL 6
Lord Kemptens Haus war groß und eindrucksvoll. Die Häuser in Shandrim waren zum größten Teil relativ langweilig, da die Architekten mehr Wert auf funktionelle Ausstattung legten als auf den optischen Eindruck. Selbst unter den Adligen hatten nur wenige viel Zeit und Geld darauf verschwendet, ihre Häuser mit verspielten, aber völlig nutzlosen Fassaden zu verzieren. Der Kaiserpalast bildete natürlich eine Ausnahme, aber das war eine Sache des herrschaftlichen Stolzes. Man konnte das Kaiserreich schließlich nicht von einem seelenlosen rechteckigen Backsteinhaus aus regieren, egal wie praktisch das auch sein mochte. Daher beschäftigte der Palast seit Generationen die besten Steinmetze des Landes und seine Größe und Schönheit dominierten das Zentrum von Shandrim.
Danar läutete die Messingglocke, die in einer Nische in der Wand rechts vom Vordereingang lag. Lächelnd legte er die Glocke zurück und fragte sich, wie viele Glocken Lord Kempten wohl in seinem Leben hatte in Auftrag geben müssen. Die meisten Adligen hatten diese alte Tradition mittlerweile aufgegeben und sich stattdessen schmuckvolle Türklopfer installieren lassen. Das lag daran, dass es mehrere Modewellen gegeben hatte, in denen das Sammeln dieser Glocken für die Jugendlichen sowohl der Adligen als auch des gemeinen Volkes ein beliebter Sport gewesen war.
Dass es ein Wagnis war, die Glocken zu stehlen, an die schwer heranzukommen
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