Die Gilde von Shandar: Die Spionin
ganz neue Perspektiven.
Was hatte Kalheen mitten in der Nacht auf dem Gang gemacht? Hatte er sie wirklich gesucht, um ihr zu helfen, oder stand er mit Shalidar im Bunde? Kalheen war es gewesen, der sie zu Anfang zur Flucht überredet hatte, als er ihr die Nachricht von der Ermordung Antons überbracht hatte. War er wirklich besorgt um sie gewesen, oder hatte er nur versucht, es so aussehen zu lassen, als sei sie an diesem Verbrechen schuldig? Je länger Femke über die Rolle des Dieners in dieser Angelegenheit nachdachte, desto mysteriöser wurde er. War er wirklich nur einfach aufmerksam genug, dass er sie in der Verkleidung durchschaut hatte, oder war er ihr schon zuvor gefolgt?
Und dann war da Shalidar. So viele Informationen über den Killer und seine Rolle passten nicht zusammen. Es hätte sein können, dass er sich, nachdem seine Pläne in Shandar durchkreuzt worden waren, entschlossen hatte, nach Thrandor zu gehen, um hier in Mantor ganz legal Handel zu treiben. Das, glaubte Femke, war höchst unwahrscheinlich. Shalidar war als Auftragsmörder auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Warum sollte der Mann etwas aufgeben, in dem er ein Meister war, nur weil er einen seiner Pläne nicht hatte verwirklichen können? Dazu lag Femkes Meinung nach gar kein Grund vor. Und wenn Shalidar Anton und Dreban getötet hatte, wer hatte ihn dann dafür bezahlt? Das Credo der Gilde erlaubte es ihren Anhängern nicht, aus persönlicher Rache oder zum Vergnügen zu töten. Außer den bezahlten Morden waren nur solche erlaubt, bei denen es darum ging zu verhindern, dass ihre Identität aufgedeckt wurde.
Wie Graf Dreban angedeutet hatte, war es möglich, dass der Neid einen der anderen Adligen dazu angestachelt hatte, einen Auftragsmörder anzuheuern, um Baron Anton zu töten. Es war außerdem möglich, dass Graf Dreban jemanden genügend gereizt hatte, um ihm einen Killer auf den Hals zu hetzen. Schwierig war nur, für den Auftrag zu beiden Morden einen Grund zu finden, der nichts damit zu tun hatte, Femke eine Falle zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es gar keine Verbindung gab, war verschwindend gering, besonders wenn man bedachte, dass sich die junge Spionin beide Male am besten Ort befunden hatte, um für die Taten verantwortlich gemacht zu werden. Das bedeutete entweder, dass Shalidar das Credo der Gilde gebrochen hatte, oder dass er es geschafft hatte, dafür bezahlt zu werden, beide Edelleute zu ermorden. Vielleicht hatte er die Taten damit gerechtfertigt, dass sie dazu dienten, seine Anonymität zu wahren, aber er hatte Femke bereits gestanden, dass für beide Morde bezahlt worden war.
Egal wie Femke die Puzzleteilchen auch hin und her schob, sie passten einfach nicht zusammen. Eines war jedenfalls sicher: Shalidar arbeitete in Mantor nicht allein. Im Nachhinein betrachtet, hätte das eigentlich von Anfang an klar sein müssen. Femke hätte sich selbst treten können, dass sie es nicht früher erkannt hatte. Dass Shalidar hier ein Haus hatte, zeigte, dass er sich in Mantor auskannte und daher Gehilfen und wahrscheinlich ein ganzes Netz von Informanten in der Stadt hatte. Das würde erklären, wie er es geschafft hatte, ihr zu folgen, nachdem er nach ihrer Begegnung in der Unterstadt verschwunden war.
Shalidar hatte Femke bereits in Shandrim schon einmal mit einem ähnlichen Trick hereingelegt, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass er es hier auch tun könnte. Es war einfach genug, doch durch die Stresssituation hatte Femke es versäumt, sich davor zu schützen. Der Killer musste dafür gesorgt haben, dass ihm jemand unauffällig folgte, mit genügend Abstand, um festzustellen, ob noch jemand anderes hinter ihm her war. Wenn er besonders vorsichtig war, konnte er sogar den Verfolger noch verfolgt haben lassen. Das Grundprinzip war einfach: Der Killer begab sich auf beliebigem Weg zu einem vorher vereinbarten Treffpunkt, wo er, wenn sein Schatten niemanden gesehen hatte, ein Zeichen bekam, dass die Luft rein war. Bekam er dieses Zeichen nicht, dann führte er seinen Verfolger in die Irre oder in eine Falle.
Femke hatte sich entschlossen, Shalidar in der Nacht, als Graf Dreban ermordet worden war, nicht zu folgen. Doch da sie geglaubt hatte, sie hätte die Initiative ergriffen, hatte sie es versäumt zu überprüfen, ob sie selbst verfolgt wurde. Shalidars Schatten hatte sich einfach an ihre Fersen geheftet und war ihr bis zu der Taverne gefolgt, in der sie übernachtet hatte. Als er sicher war, dass sie die
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