Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Aber so schnell er auch war, konnte Reynik doch nicht alle vier Männer abwehren.
Noch während er den zweiten Mann schlug, umklammerte ihn ein dritter und zwang ihm die Arme an die Seite. Bevor Reynik noch überlegen konnte, wie er sich befreien könnte, schlug ihm der Anführer hart mit der Faust in den Magen. Er spannte zwar so gut wie möglich die Bauchmuskeln an, doch er konnte nicht verhindern, dass ihm die Luft wegblieb. Der grinsende Schurke ließ seinem ersten Schlag einen Haken folgen, der ihn so hart seitlich am Kopf traf, dass Reynik befürchtete, sein Kiefer sei gebrochen. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er den Männern völlig ausgeliefert war, wenn er sich nicht innerhalb der nächsten paar Sekunden befreien konnte.
Der Gedanke erfüllte ihn mit Furcht und einer inneren Kraft, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie besaß. Er nutzte es zu seinem Vorteil, dass er von hinten festgehalten wurde, und stieß mit aller Kraft seinen rechten Fuß in den Unterleib des Anführers. Als dieser mit erschrockenem Blick zusammenklappte, riss Reynik das linke Knie hoch und traf ihn damit ins Gesicht. Der Anführer fiel um wie eine Kuh unter dem Schlächterbeil.
Reynik zwang beide Beine wieder auf den Boden, wobei er seine Absätze so heftig wie möglich auf die Füße des hinter ihm Stehenden niederkrachen ließ. Der Mann schrie vor Schmerz auf und lockerte seinen Griff gerade so weit, dass Reynik den Vorteil nutzen konnte. Mit einer Drehbewegung rollte er den vierten Mann über seine Schulter, sodass er in den stürzte, den er zuvor an der Kehle getroffen hatte, woraufhin beide zu Boden gingen.
Schnell blickte Reynik sich um. Der Mann, den er mit seinem ersten Tritt niedergestreckt hatte, kam gerade wieder auf die Füße. Die anderen drei waren noch am Boden. Reynik wollte diesen Kampf nicht gerne weiterführen, also entschloss er sich, lieber zu verschwinden, bevor sie wieder in der Überzahl waren.
Immer noch etwas atemlos, stolperte er davon. Wie erwartet machte der eine Mann, der sich gerade aufrichtete, keine Anstalten, ihm zu folgen. Reynik wusste, dass er Glück gehabt hatte. Wenn er sie noch einmal traf, würden sie gewarnt sein, und die Chance, mit ein paar blauen Flecken davonzukommen, war gering.
Femke hatte verschiedentlich versucht, die Wachen in ein Gespräch zu verwickeln. Meist war es erfolglos, da es gegen die Regeln verstieß, Umgang mit Gefangenen zu haben. Doch einer der jüngeren Gardisten war schließlich etwas aufgetaut und sprach mit ihr, wenn er Wache hatte. Ermüdet durch die Langeweile während der langen Schichten, begann er, Femkes Fragen gelegentlich einsilbig zu beantworten, und lauschte ihrem fröhlich klingenden Gerede. Er nannte ihr zwar nie seinen Namen, doch redete er offen mit ihr über alles Mögliche, um sich die Zeit zu vertreiben.
Er erzählte ausführlich über seine Familie und dass er immer auf dem Land gelebt hatte. Nie hatte er in eine Stadt kommen wollen, schon gar nicht in die Hauptstadt. Sie erfuhr, dass sich seine Mutter schreckliche Sorgen machte, weil er in die Armee eingetreten war, sie aber sehr stolz gewesen war, als man ihn bei den königlichen Gardisten eingesetzt hatte. Seine Stimme klang liebevoll, als er davon erzählte, dass er von seinem ersten Sold einen Straßenmaler bezahlt hatte, der eine Zeichnung von ihm in seiner Uniform anfertigte, die er nach Hause zu seiner Mutter geschickt hatte. Jetzt hatte sie einen Ehrenplatz auf dem Kaminsims.
Femke wusste alles über seine neue Freundin, ihre Träume und die Bemühungen, sich ein hübsches Haus in der Oberstadt zu kaufen, und wenn er pensioniert wurde, reich und glücklich wieder aufs Land zu ziehen. Er machte sich große Hoffnungen, eines Tages zum Hauptmann der königlichen Garde befördert zu werden, was ihn finanziell in die Lage versetzen würde, seine privaten Ziele zu erreichen, und bedauerte es, dass er bei den letzten Konflikten nicht die Gelegenheit gehabt hatte, sich eine schnelle Beförderung zu verdienen. Statt ihn am Ort des Geschehens einzusetzen, hatte man ihn einer Einheit zugewiesen, die den Staatsschatz bewachte.
Als er von seiner Zeit berichtete, als er den königlichen Schatz bewachte, begann in Femkes Kopf ein kleiner Keim zu sprießen. Ideen bildeten sich. Das Problem war nur, dass sich der Keim sowohl zu einem großen, prächtigen Baum, aber auch zu einem kleinen nutzlosen Unkraut entwickeln konnte. Sie konnte ihn nur bewahren, in der Hoffnung, dass er sich
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