Die Gilde von Shandar: Die Spionin
einen Haarschnitt«, erwiderte Femke und beendete ihre Liste. »Danke, Reynik. Wenn du zurückkommst, sprechen wir über die Einzelheiten meines Plans und denken darüber nach, wo Danar und ich die Nacht verbringen. Bitte beeile dich. Du solltest nicht zu spät in den Palast zurückkehren, sonst stellt man nur unnötige Fragen.«
Reynik nickte und hob seine Hand zu einem raschen Abschiedsgruß, bevor er aus der Tür schlüpfte. Femke lächelte ihm dankbar nach, bevor sie ihre Aufmerksamkeit widerwillig auf Lord Danar richtete, dessen Welpenblick sie auf sich ruhen fühlte. Derartige romantische Anwandlungen waren ihr neu, und es war schmeichelhaft, dass es sich um einen hübschen jungen Edelmann handelte. Doch es kam auch höchst ungelegen und war in der augenblicklichen Lage völlig unangebracht. Sie konnte es nicht zulassen, dass sich daraus eine Beziehung ergab, egal wie attraktiv und schneidig er war.
Femke konnte nicht leugnen, dass sie sich zu Danar hingezogen fühlte, obwohl sie lieber gestorben wäre, als ihn wissen zu lassen, dass sein Charme bei ihr gewirkt hatte. Sie hatte gesehen, wie er damit schon die Herzen vieler anderer junger Damen bei Hofe erobert hatte, und sie wegen ihrer Dummheit verachtet. Hätte ihr vor ihrer Abreise aus Shandar jemand gesagt, dass Danar bis nach Thrandor reisen würde, um eine Beziehung zu einer Frau zu vertiefen, hätte sie es als völlig lächerlich abgetan. Er hatte in Shandrim genügend hübsche Frauen um sich.
Er wird wohl warten müssen, dachte sie unbarmherzig. Er ist so weit gekommen, da wird er nicht so schnell aufgeben. Ich frage mich, ob ihn meine neue Verkleidung abschrecken wird?
»Nun, Lord Danar, ich hatte noch nicht die Gelegenheit, Euch zu fragen, was Euch in Gesellschaft eines der besten Spione des Kaisers nach Mantor geführt hat«, sagte sie laut und entschlossen, die Verhältnisse zwischen ihnen klarzustellen.
»Bitte nenn mich Danar. Es besteht kein Grund für Formalitäten.«
»Gut, Danar. Also was führt dich hierher?«
»Nun, das war etwas merkwürdig«, antwortete Danar, und seine Lippen kräuselten sich zu seinem charakteristischen schelmischen Lächeln. »Ich wollte eigentlich die Unterhaltung fortsetzen, die ich neulich während der Krönung des neuen Kaisers von Shandar mit einer sehr attraktiven jungen Dame geführt habe. Aus irgendwelchen Gründen hatte die junge Dame, die man am shandesischen Hof als Lady Alyssa kennt, keine Lust, sich nach der Zeremonie mit mir zu treffen, und verließ die Stadt, bevor ich sie noch vom Gegenteil überzeugen konnte. Ich stellte einige Nachforschungen an, bei denen ich schließlich eine Unterhaltung mit Kaiser Surabar führte. Der stellte mir einen fähigen Reisebegleiter zur Verfügung und schickte mich nach Mantor.«
Femke seufzte und sah Danar geradewegs in die Augen. »Dann war die Reise umsonst, Lor… Danar. Die Frau, die du suchst, existiert nicht. Lady Alyssa ist ein Produkt deiner … nein, meiner Fantasie, zu einem bestimmten Zweck erschaffen. Dieser Zweck darf nie und wird nie einer flüchtigen Affäre geopfert werden.«
»Das weiß ich«, antwortete Danar leise und immer noch lächelnd. »Mir ist vor einiger Zeit schon klar geworden, dass Alyssa nicht existiert, aber das spielt keine Rolle. Ich bin sicher, dass die Schöpferin von Alyssa mindestens ebenso interessant ist, wenn nicht sogar noch interessanter. Ich weiß nur nicht, wie ich diese Person kennenlernen soll, und falls ich mehr über sie in Erfahrung bringen sollte, wie sie auf mein Interesse reagieren wird?«
Bei diesen Worten musste Femke unwillkürlich leicht lächeln. Der Mann war der geborene Charmeur, und sie war dagegen leider nicht so immun, wie sie es sich in diesem Moment gewünscht hätte.
»Um ganz ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher«, sagte sie. »Du solltest wissen, dass meine Herkunft sich so weit von deiner unterscheidet, wie es nur möglich ist. Wenn du darauf bestehst, einer Illusion nachzujagen, sollte ich sie dir vielleicht lieber gleich nehmen. Ich bin als drittes Kind einer armen Familie im Ostviertel von Shandrim geboren. Mein Vater ist in jeder Hinsicht ein Versager. Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, ist, dass er von seinem Hilfsarbeiterposten beim Tuchmacher entlassen wurde, weil er ständig zu spät zur Arbeit kam. An ihn habe ich keine schönen Erinnerungen. Er war fast immer betrunken und schlug meine Mutter, die zu dumm oder zu dickköpfig war, um ihn zu verlassen. Auch uns Kinder
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