Die Gilde von Shandar: Die Spionin
nicht so großartig war, wie sie erwartet hatte. Er war groß, aber praktisch und ohne die reichen Verzierungen, wie sie der Tempel von Shand besaß. Mit gesenktem Kopf schlurften die drei um die nächste Ecke hinter das Gebäude und betraten den Umkleideraum, den Danar erwähnt hatte. Eine Reihe von hölzernen Schränken säumte die eine Wand, und in der Mitte stand ein langer Ständer mit Haken in regelmäßigen Abständen, auf denen verschiedene Kleidungsstücke hingen. Da sich niemand außer ihnen im Raum befand, zog Danar seine Schlüssel aus der Robe und schloss einige der Schränke auf.
»Hier sind Eure Kleider«, sagte er zu Femke mit solcher Wärme in der Stimme, dass in ihrem Kopf die Alarmglocken schrillten.
Den ganzen Weg vom Palast hierher hatte sie sich gefragt, was Lord Danar den weiten Weg nach Mantor und bis in ihre Zelle geführt hatte. Der offensichtlichen Antwort wollte sich die junge Spionin nicht stellen. Als er in ihrer Zelle die Kapuze abgestreift hatte, hätte sie beinahe vor Schreck aufgeschrien. Während ihrer Gefangenschaft hatte sie ein paarmal von ihm geträumt und daran gedacht, dass sie gerne eine Beziehung zu ihm unterhalten hätte, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre. Es war, als ob vor ihren Augen einer ihrer Träume zum Leben erwacht wäre. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie Halluzinationen hatte, doch als er gesprochen hatte, wusste sie, dass er real war.
Aber was tat er hier? Lord Danar war ein Höfling – ein junger Mann, der unter den schönen Frauen am Hof von Shandrim sein Unwesen trieb. Konnte es ihm mit einer Beziehung zu ihr überhaupt ernst sein? Besonders jetzt, wo es Danar klar sein musste, dass sie nicht Lady Alyssa, sondern eine Spionin des Kaisers war. Femke fürchtete sich fast zu sehr vor den Antworten, als dass sie länger darüber nachdenken wollte. Am besten war es, wenn sie sich ihm gegenüber kühl und zurückhaltend verhielt, beschloss sie. Wenn sie ihn dazu bringen konnte, schnell das Interesse zu verlieren, dann konnte sie ihr Leben weiterführen, als ob nichts geschehen war. Die Beziehung zwischen einem Lord und einer Spionin hatte keine Zukunft. Dabei würde nur jemand verletzt werden. Und Femke wusste, dass das aller Wahrscheinlichkeit nach sie sein würde.
Schnell zogen sie sich um, hängten ihre Gewänder auf irgendwelche freien Haken und stürzten sich eilig in die Kleider aus den Schränken. Danar ließ die Schlüssel in den Schlössern der leeren Schränke stecken und führte sie durch die Tür hinaus, zu der sie auch hereingekommen waren. Femke und Reynik sagten nichts. Sie fragte sich kurz, ob Reynik vielleicht wusste, warum Danar wirklich hier war. Wusste der junge Soldat, womit er es zu tun hatte? War ihm überhaupt klar, dass Femke eine Spionin war? Vielleicht war es besser, ihn nicht mehr als notwendig in die Sache mit hineinzuziehen, dachte sie.
Danar hatte die Führung übernommen, als ob es sein angestammter Platz wäre. Im Stillen schwor sich Femke, dass das nicht lange so bleiben würde. Dem jungen Lord würde in naher Zukunft seine Position in dem größeren Plan deutlich vor Augen geführt werden – und es würde Femke sein, die ihn darüber aufklären würde.
Als sie wieder auf der Straße waren, ging Femke neben Danar her und versuchte herauszufinden, was für ein Blatt sie für ihr neues Spiel in der Hand hatten. Danar lächelte sie herzlich an, doch wenn er eine ebenso herzliche Erwiderung erwartet hatte, wurde er enttäuscht.
»Wo wohnen wir?«, erkundigte sich Femke. Sie versuchte, ihre Stimme so gleichmütig wie möglich klingen zu lassen und sich die gemischten Gefühle, die in ihr brodelten, nicht anmerken zu lassen.
»Wir haben Zimmer im Alten Fuhrmann genommen«, erwiderte Danar, dessen Enthusiasmus von ihrer nüchternen Frage keineswegs gedämpft war. »Das ist nicht gerade vornehm, aber Ennas hat mich davon überzeugt, dass wir nicht Aufmerksamkeit erregen wollen, weil wir zu vornehm wohnen. Das Problem ist, dass sich die Leute an jemanden mit Geld erinnern, vor allem wenn er bereit ist, es auszugeben.«
»Ich kenne die Gründe, Lord Danar. Glaubt Ihr, dass ich keine Ahnung habe? Der Alte Fuhrmann wird für den Anfang reichen, aber wir müssen bald dort weg – wenn möglich, noch heute.«
»Und warum sollten wir das?«, erkundigte sich Danar neugierig. »Ennas war sehr dafür, dass wir dort bleiben. Und auch Reynik hat zugestimmt, nicht wahr?«
»Ja, habe ich«, gab Reynik zu und rieb sich nervös die
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