Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Lächeln. »So ernst, Euer Hoheit?«
Hal ließ sich nicht einschüchtern. »Welche Pflicht bringt Euch ins königliche Kinderzimmer, das Kinderzimmer, Lord Larindolian, welche Pflicht zu uns?«
Der Adlige biss kurz verärgert die Zähne zusammen, aber seine Stimme blieb seidenweich. »Darf ich nicht die Sicherheit meiner Schützlinge überprüfen? Denn Ihr Kinder gehört natürlich zu meiner Verantwortung hier im Palast.« Hinterher hätte Rani nicht erklären können, warum diese einfache Feststellung wie eine Drohung klang. Ihr Arm unter der Tunika begann zu pochen, und sie bildete sich ein, dass der Verband über ihrer Wunde blutdurchtränkt wäre. »Aber wir sollten unsere Manieren nicht vergessen, Euer Hoheit. Ich habe Euren Gast noch nicht kennen gelernt.«
Hal errötete, weil er bei dieser Unhöflichkeit ertappt worden war, und wandte sich mit wütender Miene an Rani, als sei sie für Larindolians tadelnden Tonfall verantwortlich. Rani vollführte einen Hofknicks vor dem Lord, ignorierte ihren pochenden Arm und befahl sich vorzugeben, sie hätte das schmale Gesicht des Mannes und das barbarische Glitzern in seinen Augen noch nie gesehen. Larindolian spielte seine eigene Rolle und nickte scharfsinnig, als Rani sich wieder erhob, »Willkommen im Palast, Erste Pilgerin, Bitte lasst es uns wissen, wenn wir irgendetwas tun können, um Euren Aufenthalt… lohnender zu machen. Ihr werdet natürlich häufig die Kathedrale aufsuchen müssen, vermutlich ab heute Abend. Das ist das Los des Ersten Pilgers.«
Ah! Das war also der Plan! So sollte Rani Roat, den Gott der Gerechtigkeit, erreichen, »Danke, Euer Gnaden.« Rani wünschte, sie könnte nun gehen, zu Roats Altar laufen, und zu Bardo.
»Mit Vergnügen, Marita Pilgerin.« Larindolian lächelte erneut und verließ dann das Kinderzimmer.
Hal sah ihm mit offenem Hass nach, und Rani hörte den Prinzen murren: »Verdammter Adliger« sowie etwas, was wie »einen Fluch auf sein Haus« klang.
Bevor sie etwas dazu sagen konnte, traten die Kinderfrauen in Aktion, drängten die Kinder zum Abendessen und dann zu ihren Abendgebeten, Rani richtete sich nach Hal und Bashi und hielt sich zurück, als die Prinzessinnen fürs Bett zurechtgemacht wurden. Die Jungen hatte jeder einen eigenen Schlafraum, kaum mehr als eine kleine Kammer abseits des Kinderzimmers. Die Kinderfrauen liefen so aufgeregt wie ein Schwarm fette Tauben um ihre Schützlinge herum, aber Rani entschied, dass sie nur ein karger Ersatz für Eltern waren.
Dieses Urteil wurde nur unwesentlich gemildert, als die Königin dem Kinderzimmer am Ende des Tages einen kurzen Besuch abstattete: Die Kinderfrauen waren ein karger Ersatz für Ranis Eltern.
Königin Felicianda segelte ins Kinderzimmer wie ein Schiff mit hohem Bug, ihr fremdartiges Aussehen wurde durch das trübe Kerzenlicht des Raumes noch erhöht. Sie legte eine kühle Hand auf die Stirn jeder Prinzessin, bevor sie zu den zwei Prinzen schwebte, die an den Eingängen ihrer jeweiligen Zimmer kauerten.
»Halaravilli«, sprach sie den Sohn ihres Ehemannes an, den Kronprinzen, der nicht ihres Blutes war.
»Herrin.« Der Prinz wirkte in den Schatten ernst, angespannt und steif.
»Und Bashanorandi.« Ein warmes Lächeln überflutete die Züge der Königin, und ihre Stimme schmolz endlich dahin, während sie die Hände auf die Schulter ihres Sohnes legte. »Hattest du einen schönen Tag, mein Junge?«
»Ja«, bestätigte Bashi und warf seinem Halbbruder rasch ein siegreiches Lächeln zu. »Sobald die Dinge mit der Ersten Pilgerin geklärt waren.«
»Die…« Die Königin runzelte leicht die Stirn, und dann nahm sie Rani anscheinend zum ersten Mal wahr. »Ah, Marita Pilgerin. Ich heiße dich willkommen.« Rani versank in den erwarteten, tiefen Hofknicks und ermahnte sich, dass sie nicht schlecht über die Königin denken durfte, über die kalte Mutter, die nur für eines ihrer Kinder ein Lächeln übrig hatte.
Rani fand sogar den Mut, einige wenige Höflichkeiten mit ihrer Lehnsherrin auszutauschen, bevor sich Königin Felicianda wieder zurückzog. Als Rani das Kinderzimmer endlich verlassen konnte, war sie von der Betriebsamkeit erschöpft und dankbar, dem Druck der Aufmerksamkeit und Beobachtung zu entkommen. Vielleicht war sie in ihrer eigenen Familie ebenso erdrückt worden, in den engen Straßen und der rauen Umgebung des Händlerviertels, aber sie hatte sich gewiss niemals so allein gefühlt, von Brüdern und Schwestern umgeben, die sie geliebt
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