Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
sich an die nächste Zeile seines Liedes nicht erinnern.
»Zarithia«, half Rani ihm aus.
»Ah, meine Soldaten kommen aus Zarithia, meine Männer stammen aus deiner Stadt!«
»Das dachte ich mir.« Rani marterte sich den Kopf, wollte das Gespräch verzweifelt von ihrem vermeintlichen Zuhause ablenken. Trotz Prinz Hals verwirrter Sprache könnte er sehr wohl einiges konkretes Wissen über Zarithia besitzen – Wissen, das über ihre zusammengeschusterten Geschichten hinausging. »Eh… bitte haltet mich nicht für dreist, Euer Hoheit, aber solltet Ihr in Eurem Alter noch mit Zinnsoldaten spielen?«
»Ich sagte dir, nenn mich Hal, nenn mich Hal. Und ich ›spiele nicht mit Zinnsoldaten‹, spiele überhaupt nicht, überhaupt nicht. Ich gewinne die Schlacht von Morenia, gewinne die Schlacht und setze nur die Hälfte der Männer ein, die mein Urgroßvater eingesetzt hat. Die Hälfte der Männer, die Hälfte der Männer.«
»Die Hälfte der Männer!«, rief Rani aus, sich nicht der Tatsache bewusst, dass sie dem Prinzen nachplapperte.
»Ja. Letzte Woche habe ich es mit drei Vierteln der Ritter probiert, aber ich brauchte noch immer alle Fußsoldaten, alle Fußsoldaten, all die armen Fußsoldaten.«
»Was habt Ihr gemacht?«
Hal sah sie einen Moment abschätzend an, als würde sie ihn vielleicht hänseln, oder als könne sie seine Geheimnisse stehlen. »Ja«, sagte er nach einem langen Blick. »Vielleicht hast du Interesse. Es ergibt eine gute Geschichte, oder – und jede Bardin sollte ihren Vorrat an Geschichten erweitern, richtig?«
»Gewiss«, stimmte Rani ihm zu, so erfreut, dass er geneigt schien, das Thema Zarithia zu vergessen, dass sie das Ende seines Singsangs nicht bemerkte.
Ihre Unterhaltung mit Hal dauerte den größten Teil des Nachmittags. Der Prinz erzählte ihr von dem Originalplan für die ehemalige Schlacht und brachte seine Zinnsoldaten in Position. Dann zeigte er ihr die von ihm eingeführten Neuerungen. Bashi versuchte zwei Mal, ihn zu unterbrechen, wurde aber beide Male von Hals im Sprechgesang vorgebrachten Bemerkungen vertrieben, von tanzenden Worten, die böse Widerhaken enthielten. Die Prinzessinnen beteiligten sich zeitweise an der Diskussion, und Hal nahm sich Zeit, ihre blumigen Fragen zu beantworten, aber seine Aufmerksamkeit blieb auf Rani gerichtet.
»Also«, sagte Rani schließlich, als er ihr seine letzte Aufstellung für die Schlacht zeigte, »ist Euer Ziel, Eure Reiter auf diesem Grat zu platzieren, bevor die Fußsoldaten abgeschnitten werden können.«
»Genau! Die Bardin liest die Zeichen, liest die Zeichen.« Hal grinste, eindeutig begeistert, dass jemand seine Interessen teilte.
»Nun, was wäre, wenn Ihr…« Rani kaute auf ihrer Unterlippe und versuchte, sich das notwendige Muster vorzustellen. Dieses Spiel auf dem Schlachtfeld war wirklich nicht schwieriger als die Arbeit, die sie damals, vor einer Ewigkeit, im Laden ihres Vaters ausgeführt hatte, als sie Zinn- und Silbergegenstände ausgelegt hatte, sie so arrangiert hatte, dass potentielle Käufer sie am besten wahrnehmen konnten.
Bevor sie dem Gedanken jedoch die Handlung folgen lassen konnte, wurde die Tür zum Kinderzimmer schwungvoll geöffnet. Alle Kinder und ihre anwesenden Kinderfrauen schauten jäh auf. Rani hatte blitzartig eine Vorahnung, eine Andeutung von kalter Gefahr, die sich in den Raum drängte.
Ein Mann trat harten Schrittes über die Schwelle, von einer eisig azurblauen Robe umgeben, deren Wirkung durch ihren glänzenden Hermelinsaum paradoxerweise noch verschärft wurde. Das üppige Kleidungsstück hob das fuchsrote Haar des Mannes und seinen langen, gedrehten Schnurrbart hervor. Rani verschwendete nur wenig Zeit damit, sein Gewand zu betrachten. Ihr Blick wurde sofort von seinem eisigen Blick angezogen. Larindolian starrte auf sie herab, sein Gesicht war so ungerührt, als hätte er sie nie zuvor gesehen.
»Euer Hoheit.« Der Höfling vollführte eine steife, kleine Verbeugung vor Hal und wandte sich dann der anderen Seite des Raumes zu, wo sich Bashi wieder mit den Prinzessinnen versammelt hatte. Der Adlige gewährte dem jüngeren Prinzen ein knappes Lächeln, und Rani erkannte darin die Art Blick, die ein Fuchs vielleicht einem Huhn gewährt. »Lord Bashanorandi. Ladys.«
Die Prinzessinnen piepsten ihre Begrüßung, aber Hals Stimme klang todernst, als er den Kopf neigte. »Lord Schatzmeister, Meister des Schatzes, Schatzmeister.«
Larindolian erlaubte sich ein weiteres, gefährliches
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