Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
hatten.
Brüder und Schwestern… Wie Bardo, der gerade jetzt in der Kathedrale auf sie wartete. Sie versuchte, ihre Aufregung zu bezähmen, zog den Umhang mit dem Tausendspitzigen Stern eng um ihre Schultern und versicherte sich, dass das heilige Symbol bedeutungsvoll funkelte, falls die Kinderfrauen sie zu Bett führen wollten. Als sie zu den massiven Eisentoren des Palastes kam, wurde sie von der Wache angerufen, aber sie nannte ihren angenommenen Namen, und der Soldat trat beiseite. Dabei vollführte er ein heiliges Zeichen und sprach eine onkelhafte Warnung aus, auf den Straßen der Stadt vorsichtig zu sein. »Tatsächlich, junge Pilgerin – möchtet Ihr zur Kathedrale eskortiert werden? Ich kann einen der Wächter des Haushalts rufen, der Euch begleiten könnte.«
»Danke, freundlicher Herr.« Rani ärgerte sich über die Einmischung. »Es ist noch recht früh, und ich halte mich an die Hauptstraßen.«
»Aber, Kleine, dies ist kein Dorf oder die kleine Stadt Zarithia. Ihr seid jetzt in der Stadt – es kann gefährlich sein, auch auf den Hauptstraßen.«
»Ich weiß, wie…« Rani hätte beinahe einen Teil ihrer Wut in ihre Worte einfließen lassen, aber dann glitt ein Schatten aus der Dunkelheit im Palasthof heran.
»Gibt es hier ein Problem?« Rani bekam eine Gänsehaut, als sie Larindolians Stimme erkannte.
»Nein, Lord Schatzmeister.« Die Antwort des Wächters war von furchtsamem Respekt erfüllt. »Ich habe nur zu bedenken gegeben, ob das Mädchen vielleicht zur Kathedrale begleitet werden möchte. Ich hatte niemals die Absicht, sie bei ihrer Anbetung zu stören.«
»Das war ein guter Vorschlag, Mann.« Larindolian hob eine behandschuhte Hand, und eine weitere dunkle Gestalt erschien. »Ihr müsst mit uns alten Männern nachsichtig sein, Marita Pilgerin. Wir besitzen nicht Euer jugendliches Vertrauen in den Schutz der Tausend Götter. Marcanado hier wird Euch zur Kathedrale geleiten und zurückbringen. Er ist ein guter Mann, aus der Bruderschaft der Soldaten.«
Rani verstand den Fingerzeig hinter den Worten und nahm die Begleitung des Soldaten ohne weiteren Protest an. Es war schließlich nicht so, dass sie Marcanado nach dieser Nacht wieder sehen müsste, denn sie würde nicht in den Palast zurückkehren. Während der freundliche Torwächter ihnen nachsah, konnte sie der Versuchung jedoch nicht widerstehen, ihrem Begleiter zuzuzischen: »Ich hätte allein gehen können.«
Der Soldat blinzelte ungerührt. »Mein Herr Larindolian dachte, Ihr verdientet die Ehre einer Begleitung. Wer bin ich, das in Frage zu stellen?«
Das waren die letzten Worte des sturen Wächters. Rani war keine Närrin. Sie wusste, dass er ein Mitglied der Bruderschaft sein musste, sonst wäre ihm nicht die Begleitung zu ihrem geheimen Treffen anvertraut worden. Dennoch empfand sie keine Verbundenheit mit dem schweigsamen Mann und nahm seine Gegenwart übel, nahm seine Einmischung in ihre Wiedervereinigung mit Bardo übel.
Sie musste jedoch nicht lange schmollen. Innerhalb weniger Minuten standen sie am Portal der wuchtigen Kathedrale. Marcanado stieß die Tür auf, ohne auf das unheimliche Knarren der Metallscharniere zu achten, und begab sich dann auf der Schwelle auf Wachposten. Rani wartete nur eine Minute, ließ ihre Augen sich an die schattige Dunkelheit in dem Gebäude gewöhnen und trat dann durch den Eingang.
Sie war zunächst erleichtert zu sehen, dass die Kathedrale nicht in völliger Dunkelheit lag. Einige wenige der größten Wachskerzen auf den an den Steinwänden stehenden Altären brannten noch. Während Rani durch den Mittelgang voranging, fragte sie sich, ob es nicht besser wäre, die Kathedrale in völliger Dunkelheit zu durchschreiten – die flackernden Schatten ließen in ihrem Geist Gespenster tanzen.
Sie musste auf der Suche nach dem Roat geweihten Altar den gesamten Umkreis der Kathedrale entlangwandern. Sie wusste, dass es keine der großen, exponierten Plattformen unter dem Werk der Glasmaler wäre. Bardo würde eine entlegenere Ecke gewählt haben. Dennoch musste sie die Kathedrale noch ein zweites Mal umrunden, bevor sie den Altar des Gottes der Gerechtigkeit erblickte, der wirklich kaum mehr als ein geschnitztes Betpult war. Sie hätte ihn ein zweites Mal verfehlen können, hätte nicht inzwischen eine frisch angezündete Kerze in der Mitte der grob geschnitzten Plattform gebrannt.
Sie fügte dem Weihgegenstand ihren eigenen hinzu, kniete sich hin und faltete auf dem niedrigen Geländer die
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