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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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gehört – alle Menschen in der Stadt kannten ihre Macht. Wie die Kugel der Glasmaler, die vor so vielen Monaten zerstört worden war, war auch diese Kugel von Jair selbst gestaltet worden, zu Beginn der Regierung des Pilgers. Sie verkörperte allen Einfluss des großartigen Zeitalters, als die Tausend Götter noch mit Macht über Morenia gewacht hatten.
    Die Kugel war aus einer glasartigen Substanz gemacht, obwohl Rani erkennen konnte, dass es keinem anderen Glas ähnelte, das sie jemals gehandhabt hatte. Die glatte Oberfläche war zarter als alles, was die Glasmaler je hätten gestalten können, fest wie Kristall, aber durchscheinend, von Farben durchwoben und äußerst makellos. Rani dachte an das letzte Mal, als sie ihre Hände auf eine ähnliche Kugel gelegt hatte, an dem Tag, an dem sie vor Gildemeisterin Salina ihre Lehrlingsschwüre geleistet hatte.
    Nun legte Rani ihre Hände, auf Halaravillis Aufforderung hin, auf die glatte Oberfläche der Kugel des Inquisitors, rang mit ihren Ketten, um die Handgelenke zu beugen. Bei der Berührung ihrer Finger verschmolzen die wirbelnden Farben, liefen ineinander wie Tinte in Wasser. Blau, Grün, Gelb – alles wurde absorbiert, bis die Kugel in einem inneren Licht leuchtete, in einem tiefen Karmesinrot wie die Schattierung von Ranis Blut. Wie die granatroten Augen der Schlangen der Bruderschaft. Rani versuchte, gegen ihre plötzlich trockene Kehle anzuschlucken, und sie brachte nur mühsam ein lautloses, an Lan gerichtetes Flehen zu Stande.
    Die Kugel des Inquisitors würde die Wahrheit der Antworten erspüren, die sie heute gab. Wenn sie log, würde sich das karmesinrote Licht verändern, und die ganze Welt würde wissen, dass Rani eine Verräterin war. Eine Verschwörerin gegen den König. Eine Mörderin.
    Halaravilli wartete, bis Ranis Handflächen flach auf der Kugel lagen, und dann sah er sie mit festem Blick an. »Das Verhör wird nun beginnen. Wie lautet dein wahrer Name?«
    Sie sah ihn verwirrt an. Ihr wahrer Name? War das der Name, mit dem sie geboren wurde? Der Name, den sie sich durch ihre Sklavenarbeit in der Gilde verdient hatte? War es derjenige, den sie für sich beansprucht hatte, als sie mit Mairs Schar durch die Straßen gelaufen war? Der Name, der ihr von den Tausend Göttern gewährt wurde, als sie ihr erlaubten, als Erste Pilgerin zu dienen?
    »Ich…« Ihre Stimme klang hoch und schrill, und sie zwang sich zu schlucken, einen beruhigenden Atemzug zu tun. »Euer Hoheit, man bezeichnet mich mit vielen Namen. Marita, Rani, Ranita, Ranimara, Rai…« Ranikaleka, dachte sie, ohne Bardo anzusehen. »Mit vielen Namen«, wiederholte sie. »Aber jene Namen sind alle unwichtig, denn wie auch immer man mich nennt, bin ich doch stets dieselbe. Ich bleibe dieselbe arme Pilgerin auf der Suche nach der Führung all der Tausend Götter.«
    Hals Augen blieben tödlich ernst, und er sagte mit Grabesstimme: »Dann werden wir dich Ranita Glasmalerin nennen, denn als solche stehst du als Angeklagte vor uns.« Nach einer langen Minute fuhr er fort: »Also erzähle mir, Ranita. Wie konntest du in den Palast gelangen?«
    Ranis erster Gedanke war, dass dies eine törichte Frage sei – alle im Raum wussten, wie sie als Erste Pilgerin auserwählt worden war. Dennoch konnte sie auch leichte Fragen wohl kaum umgehen, nicht wenn die Kugel unter ihren Händen pulsierte, nicht wenn sie die harten Fragen kannte, die Hal ihr stellen mochte. Wenn dies Hals Vorstellung von einem Verhör war, könnte sie vielleicht antworten und unversehrt daraus hervorgehen, mit unbeflecktem Ruf. Rani schickte ein flüchtiges Gebet zu all den Tausend Göttern, dass sie ihren Namen reinwaschen und es dennoch vermeiden könne, ihren einzigen Verwandten zu belasten.
    Sie atmete tief durch und gab eine beherzte Darstellung ihres Weges zur Kathedrale wider, von den Hunderten von Körpern, die sich eng aneinanderdrängten. Sie erklärte, wie sie abgelenkt wurde, in der Menge zurückgehalten wurde, während jeder der Pilger im Namen eines der Götter begrüßt wurde. Sie berichtete, wie das Glück – das Glück und all die Tausend Götter – sie zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zum Portal der Kathedrale geführt hatte, gerade als der Priester den Namen des Ersten Pilgers äußern wollte.
    Hal lauschte jedem Wort und nickte wie als Bestätigung, als sie bezüglich ihrer Auswahl von einem Wunder sprach. Er schaute weder nach rechts noch nach links, während er zuhörte, und Rani merkte, dass sie ihm

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