Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
begegnete, und sie konnte nur knapp dem Drang widerstehen, vor den Füßen des Schatzmeisters auszuspeien. Larindolian seinerseits nickte nur kurz, als wäre Rani ein leicht anwiderndes Wesen, das er in die königliche Menagerie hatte bringen lassen.
Auf Shanoranvillis linker Seite saß Königin Felicianda, am Rande des Thrones mit der geraden Rückenlehne. Ihr Sohn Bashanorandi war neben ihr. Die Adlige reckte das Kinn vor, während sie Rani musterte, und ihre Finger schlossen sich um den Arm ihres Mannes. Selbst jetzt, wo Rani wusste, dass sie diese verschwörerische Verräterin hassen und fürchten sollte, nahm sie die zerbrechliche Schönheit der Königin ein – sie besaß die Anmut einer Hirschkuh, der man am Rande eines Waldes unvermutet begegnet.
Bevor Rani sich dadurch in Verlegenheit bringen konnte, dass sie die Gnade der Königin erflehte, salutierte der Hauptmann der Wache vor seinem Lehnsherrn. »Die Gefangene, Euer Majestät.« Rani war kaum vorgewarnt, als der Wächter seine Hand auf ihren Rücken legte und sie mit einem heftigen Stoß vorandrängte, so dass sie stolperte und hart auf den Knien landete.
»Euer Majestät«, flüsterte sie und leckte sich über die Lippen, um die Worte hervorzuzwingen. »Herrin.« Sie neigte vor der verräterischen Königin den Kopf.
»Ruhe!«, befahl der Wächter. »Du wirst erst sprechen, wenn der Verteidiger des Glaubens es dir erlaubt!«
Larindolian nickte zustimmend, aber König Shanoranvilli schien den Befehl kaum zu hören. Stattdessen sah er mit kummervollem Blick auf Rani hinab. »Erste Pilgerin… Ich hatte die Absicht, dich in meine Familie aufzunehmen, dich ins Haus Jairs zu bringen. Ich glaubte, du wärst den Tausend Göttern treu ergeben.«
»Euer Majestät«, erwiderte Rani und ignorierte das unruhige Scharren der Soldatenfuße. »Ich bin den Göttern treu ergeben, und Eurem Hause ebenfalls.«
»Du zeigst deine Loyalität auf seltsame Art, Erste Pilgerin. Du ermordest meinen Sohn, und dann verschwörst du dich unmittelbar in den Mauern meines Palastes gegen mich.«
»Ich…«, begann Rani protestierend, aber sie wurde von einer weiteren Stimme unterbrochen.
»Ich bitte um Vergebung, Sire.« Aller Augen wandten sich dem Sprecher zu, von seinem weichen und respektvollen Tonfall gefangen. »Ich bitte um Vergebung, aber nach den Gesetzen Jairs dürft Ihr die Erste Pilgerin nicht für den Mord an unserem Bruder bestrafen, bis sie formell dieses abscheulichen Verbrechens für schuldig befunden wird. Zunächst müssen wir die Gefangene befragen und über die Wahrheit entscheiden. Mit Eurer Zustimmung, Sire, würde ich als Großinquisitor fungieren.«
Rani erkannte die Stimme, war aber erstaunt über die stetige Kraft der Worte. Sie straffte die Schultern, spannte sich gegen ihre Ketten an und wandte sich zu Prinz Halaravilli um. Ein Schaudern durchlief sie, als sie erkannte, dass Hal seinen Singsang völlig abgelegt hatte. Sie begegnete seinem Blick kühn, und kurz darauf gelang es ihr zu sagen: »Euer Hoheit.«
»Euer Majestät«, unterbrach Lord Larindolian, während Hal Ranis Begrüßung mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken erwiderte. »Ich protestiere. Muss ich Euch daran erinnern, dass wir es hier mit einer Verräterin zu tun haben? Mit einer Mörderin, die königliches Blut an den Händen hat? Es ist eine Sache, Sire, wenn Ihr zu Gericht sitzt, an Jairs statt… Aber die Zügel zu übergeben an jemanden so… so Unerfahrenen wie den Prinzen Halaravilli…«
Der König seufzte schwer. »Prinz Halaravilli ist mein Erbe, Lord Larindolian. Derjenige, von dem ich wollte, dass er mir diese Last abnimmt, ist genau derjenige, der heute nicht hier sein kann. Prinz Tuvashanoran wurde an Jairs Brust genommen, und ich muss dafür sorgen, dass meine übrigen Söhne auf meine Nachfolge vorbereitet werden.«
»Aber, Euer Majestät, es würde Tuvashanorans Andenken schänden, wenn die Verhandlung seiner Mörderin von dem Prinzen geführt würde«, drängte Larindolian. Rani glaubte, eine Spur von Verzweiflung hinter den Worten des Schatzmeisters zu hören. Sie war nicht der einzige Mensch, der die Stahlhärte hinter Hals formaler Anrufung erkannt hatte.
»Lord Schatzmeister«, seufzte der König, »Ihr kennt die Regeln ebenso gut wie ich. Ich kann einen Großinquisitor ernennen, solange Jairs Wächter die Gerechtigkeit der Verhandlung wahren.« Larindolian wollte weiterhin protestieren, aber Shanoranvilli hob eine zitternde Hand, senkte die Stimme und zog
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