Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
schleuderte er sie quer über den feuchten Steingang, bis sie hart gegen die Eisenstäbe der gegenüberliegenden Zelle prallte. Sie versuchte noch immer, Luft in ihre gequetschten Lungen zu ziehen, als er ihr die Arme schon grob auf den Rücken drehte und Eisenketten um ihren Hals und ihre Taille wand, bevor er die Kettenglieder mit einem riesigen Vorhängeschloss sicherte.
Rani schüttelte benommen den Kopf, versuchte, die Spinnweben aus ihrem Geist zu vertreiben.
Der Soldat war jedoch noch nicht fertig mit ihr. Als wäre Rani der gefährlichste aller Verbrecher, nahm der Wächter eine weitere Kette hervor. Dieses Mal pressten zwei mit Brustpanzern versehene Männer sie an die Eisenstäbe, quetschten ihre schmale Gestalt an das grausame Eisen, während ihr Anführer die Kettenglieder um ihre Knöchel wand und mit den Ketten um ihre Taille verband.
Einer der Soldaten grub eine in einem Panzerhandschuh steckende Hand in ihren Nacken, so dass sie den Kopf zur Seite drehen musste, um atmen zu können. Sie konnte aus dem Augenwinkel den Insassen der Zelle ausmachen, gegen die sie gepresst wurde, ein uraltes Bündel Lumpen, mehr Schmutz als Mensch. Während die Soldaten an den Ketten zogen und die Schlösser prüften, schaute der andere Gefangene auf und hielt Ranis Blick mit überraschend klaren Augen fest. »Halt dich an deine Kaste, Kleine. Halt dich vor dem Königlichen Gerichtshof an deine Kaste.«
Rani kannte die Stimme. Sie erkannte die allwissenden Augen, die aus dem Haufen schmutziger Lumpen hervorsahen. Sie erinnerte sich an das uralte Unberührbaren-Wesen, das auf der Schwelle des verlassenen Viertels zu ihr gesprochen hatte, wo Larindolian Ausbilderin Morada verraten hatte. »Ihr!«, konnte sie atemlos hervorbringen, bevor ein Schlag des Soldaten ihren Kopf gegen die Zellenstäbe prallen ließ.
»Ruhe!«, brüllte der Soldat, und das uralte Unberührbaren-Wesen begann zu kichern. Rani wurde davongeführt, bevor die Wächter an der anderen Gefangenen Rache üben konnten.
Ihre ganze Konzentration war gefordert, um nicht über die Ketten zu stolpern. Mehr als einmal streckte ein Soldat eine Hand aus, um sie festzuhalten, um sie hochzureißen, wenn sie aufgrund des Gewichts, das um ihre Brust und ihre Knöchel lag, vornüberkippte. Sie war durch ihre Fesseln so beeinträchtigt, dass sie nicht darauf achtete, durch welche Gänge sie liefen. Daher war sie vollkommen überrascht, als sie vor den hohen Türen des königlichen Audienzsaales stand. Die Soldaten verschwendeten jedoch keine Zeit damit, ihren jungen Schützling verwundert schauen zu lassen. Stattdessen stießen sie die Türen heftig auf, so dass die Steinmauern des Saales erbebten. Stille senkte sich über den Raum, und Rani wurde sofort zum Brennpunkt Dutzender von Blicken.
Der Audienzsaal war von Säulen gesäumt, und zwischen den Säulen stand je ein stark bewaffneter Wächter mit gezogenem Schwert. Noch bedrohlicher waren jedoch die schwarz gewandeten Gestalten, die am Fuß jeder Säule standen – die Wächter Jairs.
Ranis Herz sank. Nun erkannte sie, dass sie dem Urteil des Verteidigers unterworfen wäre. Kein Rat würde über sie richten, kein desinteressierter Geschworener würde ihr Schicksal beschließen. König Shanoranvilli würde, als Verteidiger des Glaubens, über die Strafe für das Mädchen entscheiden, von dem er glaubte, dass sie seinen Sohn ermordet hatte. Er besaß solche Zuständigkeit, weil der Mord in der Kathedrale stattgefunden hatte, weil das Opfer vor dem Altar niedergestreckt worden war. Der Verteidiger konnte ohne Erklärung, ohne Rechtfertigung handeln, solange er im Angesicht der Wächter Jairs handelte.
Wenn Rani schon an dem verzweifelte, was die schwarzen Roben ihr vermittelten, so schrie sie beinahe auf, als sie Shanoranvilli auf dem Podest ansah. Verschwunden war der großväterliche Herr, der sie in seiner Familie, im Herzen seines Haushalts willkommen geheißen hatte. Nun trug der König seine schwere Amtskrone und ein Gewand, das so rot wie Blut war. Seine Augen waren rot gerändert und über den hageren Wangen tief eingesunken, und Rani bildete sich ein, seinen Atem über den Saal hinweg rasseln zu hören. Die Amtskette lag über seiner Brust, und die schweren, goldenen Js erdrückten ihn fast.
Der König war in seiner Schwäche nicht alleine. Auf seiner rechten Seite stand Lord Larindolian, bereit, königlichem Geheiß nachzukommen. Rani verengte die Augen, als sie dem verschlagenen Blick des Adligen
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