Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
sein Schwert in die Scheide, hob die Hände zornig auf Schulterhöhe und zeigte damit seine gute Absicht, auch wenn seine Miene gegen die Menge wütete. Die versammelten Marktleute ließen den einsamen Mann entkommen, und nur einige beschimpften ihn. Ranis Herz flog dem Soldaten zu – er hatte diese Schmach nicht verdient, wo er doch nur einem einsamen, verängstigten Kind helfen wollte.
Nun, und sie hatte die groß angelegte Suche nicht verdient, die ihr noch immer drohte. Und die Unberührbaren hatten ihre Anschuldigungen nicht verdient. Und Cook hatte es nicht verdient, am Rande ihres eigenen Gartens angegriffen zu werden. Und Tuvashanoran hatte es nicht verdient zu sterben.
Die Wege der Tausend Götter waren rätselhaft.
Rani kauerte unter dem Tisch, bis sich ihr Puls wieder normalisiert hatte. Inzwischen war der Markt in vollem Gange. Frauen der Unberührbaren, die als Köchinnen in den Häusern der Adligen arbeiteten, drängten sich um Händlerfrauen, die den besten Handel abschließen wollten. Rani betrachtete das Schauspiel und maß das Tempo des morgendlichen Marktes an den ausgetretenen Lederschuhen ab, die an ihrem Versteck vorübergingen. Als der Platz genügend Menschen aufzuweisen schien, um unbemerkt mit der Menge verschmelzen zu können, schob Rani ihren schützenden Stoffvorhang beiseite.
Als sie unter dem Tisch hervorkam, erkannte sie jedoch sofort, welch großen Fehler sie begangen hatte. Zwei Männer standen zu beiden Seiten ihres Verstecks, die großen Fäuste in die Hüften gestemmt, die Stirn finster gerunzelt. Einer wies die traditionelle Lederschürze eines Bäckers auf und der andere – der ihr am nächsten stand – eine blutige Leinenschürze, die einmal weiß gewesen war. Beide trugen stolz Spangen an der linken Brustseite – kunstvoll geflochtener, zum vertrauten Knoten des Händlerrats geschlungener Hanf.
Der Bäcker und der Schlachter traten bedrohlich zwei Schritte vor, und Ranis Magen rebellierte, als der süßlichverdorbene Geruch von geronnenem Tierblut auf ihre Nasenflügel traf. Der Schlachter schloss seine Finger um ihren Oberarm und presste das Fleisch über ihren Knochen zusammen. »Was haben wir denn hier?«
»Sieht so aus, als hätte sich eine Ratte auf den Marktplatz verirrt.« Der Bäcker spie durch eine große Lücke zwischen seinen Vorderzähnen.
»Lasst mich los! Ich bin die Tochter von Thomas Pilgrim. Ich bin auf der geweihten Pilgerreise Jairs in die Stadt gekommen!«
»Ja, und ich bin Quan, der Gott der Huren.« Der Schlachter riss heftig an ihrem Arm und zog sie einen kleinen Seitenweg zum Zentrum des Marktplatzes hinab. »Komm schon, meine kleine Schwätzerin. Vor den Rat mit dir.«
Der Rat. Das Wort hallte durch Rani hindurch. Ihr Vater hatte sich ein ganzes Leben lang danach gesehnt, dem Händlerrat anzugehören. Er betrieb jedoch außerhalb des Marktplatzes Handel. Er war nie mächtig oder reich oder bekannt genug gewesen, um den Hanfknoten eines Ratsmitglieds zu tragen.
Rani dachte, dass sie ein weiteres Zusammentreffen mit den Wachen Shanoranvillis einer Begegnung mit dem Rat vorgezogen hätte. Nach allem, was ihr Vater jemals über sie gesagt hatte, waren sie eine starke Macht, die das Herz jedes Händlers in Angst und Schrecken versetzte, wenn er es wagte, die Regeln der Kasten zu missachten. Die Worte ihres Vaters waren von Eifersucht und Misstrauen durchsetzt gewesen – es bestand eine niemals endende Spannung zwischen den Händlern, die ihre Waren auf dem Marktplatz verkauften, und denjenigen, die ihre Waren – wie Ranis Familie – auf den Straßen des Händlerviertels feilboten.
Da die Händlerklasse nicht den Wunsch hegte, sich den ständigen Besuchen der Soldaten des Königs auszusetzen, hatte der Rat begonnen, selbst als Polizeimacht zu fungieren. Er war nicht zu militärischen Aktionen berechtigt und konnte keine formelle Strafe für Verletzungen des Friedens des Königs verhängen. Diebstahl, Überfall und andere Verbrechen wurden noch immer von der Wache geahndet. Aber Marktplatzstreitigkeiten wurden vom Rat geprüft. Die Händler hielten ihresgleichen streng zusammen.
Rani fühlte sich ganz und gar nicht wohl, während der stämmige Bäcker und der Schlachter sich ihren Weg durch die Menge erzwangen. Die Männer brüllten, wenn ihnen Kunden oder Händler in den Weg gerieten, und keiner von beiden zögerte, mit einer wuchtigen Faust den Weg freizumachen. Rani, die mit halbherzigen Fluchtgedanken über ihre Schulter schaute, sah
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