Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
die alte Eierfrau hinter ihrer kleinen Prozession herstolzieren, den Kopf hoch erhoben, obwohl Eidotter auf ihrer Schürze klebte.
Rani wurde auf einen dunklen Gang zugeschoben, der zu dem Säulengang im Zentrum des Marktplatzes führte. Es erschien ihr wie pure Ironie, dass der Rat in der Nähe der Wiegemeister saß, wo sie angeblich Thomas Pilgrim treffen wollte. Auf der kunstvollen Steindecke, die das Morgenlicht fast ausschloss, wanden sich Tiere und Blumen.
»Morgen, Euer Gnaden«, sagte der Schlachter, und Rani spähte in die Schatten, bemüht, in der Düsterkeit jemanden auszumachen. Als sich ihre Augen dem Licht anpassten, sah sie einen großen Mann auf einem zusammenlegbaren Holzstuhl sitzen, dessen knochige Hände entspannt auf geschnitzten Armlehnen ruhten. Scharfsinnige Augen glitzerten unter seinem kahlen Schädel, und Schatten machten aus seinen eingesunkenen Wangen einen Totenschädel. Weiterhin hob das trübe Licht einen faustgroßen Hanfknoten hervor, der an seiner linken Brustseite haftete.
»Es ist noch zu früh für Störungen auf dem Marktplatz.« Die Stimme des Mannes klang alt, und Rani fragte sich, wer in dieser Saison den Posten des Ratsführers innehatte. Diese Aufgabe wurde reihum nur von den angesehensten Händlern wahrgenommen. Für ihren Vater war sie bisher völlig unerreichbar geblieben.
»Nicht zu früh für diese Art Gossenratte.« Dieses Mal sprach der Bäcker und stieß Rani vorwärts, so dass sie auf die Knie fiel. »Hat alle Eier Nardas zerbrochen, das hat sie.«
»Narda, suchst du das Urteil des Rates?«
»Ja, Borin.« Es gelang der Frau, diese beiden Worte wie eine Mitleid erregende Bitte um Beistand klingen zu lassen, während sie sich gleichzeitig diebisch darüber freute, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
»Und du«, wandte sich Borin an Rani. »Wie heißt du?«
Rani durchdachte die Möglichkeiten. »Ranita« würde ihr wahrscheinlich eher schaden als nützen. Sie konnte kaum verlangen, der Gerechtigkeit der Gildeleute übergeben zu werden, wenn sie ihre Gilde nicht benennen durfte. »Rai« würde ihr schwere Schläge einbringen, wenn nicht Schlimmeres – Händler betrachteten die Kinder der gesetzlosen Unberührbaren als ebenso verhängnisvollen Fluch wie Überflutungen, Dürren und Insektenplagen. Es hatte wenig Zweck, sich Pilgerin zu nennen – sie hatte keinen Stern, der ihre Pilgerschaft bezeichnet hätte, und eine rasche Befragung bei der Kathedrale würde verdeutlichen, dass kein Pilger namens Thomas seine vermisste Tochter suchte. Also zuckte Rani resigniert die Achseln und brachte mühsam zwei Silben hervor: »Rani.«
»Rani.« Die Stimme des alten Mannes war so steinern wie der Baldachin über seinem Kopf. »Hast du eine Familie, die dir beistehen könnte, während der Rat sein Urteil beschließt?«
»Nein, Euer Gnaden.« Rani sehnte sich danach, ihren Vater zu benennen, sehnte sich danach, den Rat um die Gnade zu bitten, ihr bei der Suche nach ihrer Familie zu helfen. Solch eine Bitte würde jedoch nur gefährliche Fragen bewirken, unmögliche Fragen. Es war besser, allein zu bleiben, als von der Wache des Königs umringt zu werden.
Borin nickte, als erkenne er ihre Entscheidung an, bevor er sich an den Schlachter wandte. »Was ist auf dem Marktplatz mit Rani geschehen?«
Rani hörte zu, während von ihren Taten berichtet wurde. Obwohl ihre Knie schmerzten, da sie zwischen zwei Pflastersteinen kniete, veränderte sie ihre Haltung nicht. Ihr gefiel der Tonfall des Schlachters nicht, aber seine Worte waren fair, als er beschrieb, wie sie Shanoranvillis Wachen entflohen und verschiedene Tische umgestoßen hatte, einschließlich desjenigen mit Nardas Eiern.
»Und welchen Schaden hat sie noch angerichtet?«
»Tarin hat zwei Dutzend Melonen verloren – sie wurden so gequetscht, dass er sie kaum noch verkaufen kann. Rordi behauptet, sie hätte auch ihre Kürbisse zertreten, aber zwei andere Händler sagen, sie hätte ihre Waren selbst beschädigt, in der Hoffnung auf ein Ratsurteil und einen freien Nachmittag. Bei anderen ist die Auslage durcheinandergebracht worden, aber die Waren wurden nicht beschädigt.«
Borin nickte gemächlich und wog die betroffenen Personen, wie auch seine Kenntnis der seiner Aufsicht unterstellten Händler ab. Rani war genug Händlertochter, um stolz auf die ruhige Herrschaft des Rates zu sein, auch wenn sie die Strafe fürchtete, die Borin erlassen würde.
»Rani, willst du etwas zu deinen Gunsten vorbringen, bevor
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