Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Shanoranvillis Stadt.« Hardu schnaubte, als wäre er sich sicher, dass seine Waren überall geschätzt würden, und griff nach der Schüssel mit dem dicken Eintopf, der die Grundlage der Pilgermahlzeit war. Er schöpfte das Zeug auf seinen Teller, wählte sorgfältig Fleischstücke aus und konnte kaum eine Grimasse unterdrücken, als Farna die besten Happen für Rani herauspickte. Rani, die die freundliche Frau nicht enttäuschen wollte, schluckte das gute Essen hinunter, fast ohne es zu kauen.
»Also«, plauderte Farna weiter, »was hast du da in dem Kästchen? Etwas so Wertvolles wie zarithianisches Metall?«
Bevor Rani antworten konnte, erkannte sie, dass ein Priester hinter ihr stand und mit misstrauischem Glitzern in den Augen den Kopf neigte. Obwohl Farna Ranis plötzliches Unbehagen nicht bemerkte, spürte sie doch den Blick des Kirchenmannes und wandte sich mit herzlichem Lachen um. »Pater! Diese Kleine ist anscheinend hungriger, als wir dachten. Könnten wir noch etwas Eintopf bekommen?«
Das falkenähnliche Gesicht des Priesters zeigte einen kurzen Moment Verärgerung. Auch wenn die Pilger Jairs Spuren folgen, dachte er anscheinend, können ihre Forderungen manchmal lästig sein. Er warf Rani einen scharfsichtigen Blick zu, während er vortrat. »Kleine Pilgerin, du trägst deinen Stern nicht. Jair würde einen solchen Verstoß gegen die Pilgersitten missbilligen.«
»Oh, nein«, schaltete sich Farna ein, bevor Rani eine Ausrede ersinnen konnte. »Diese Kleine ist keine Pilgerin. Sie gehört zu Eurer Stadt. Sie erzählte uns gerade, sie sei eine Händlertochter. Sie hat eine Art Botschaft für Euch.« Farna tätschelte Ranis Kopf, besänftigte sie wie einen unruhigen, jungen Hund. »Siehst du, Liebes, 50 bekommst du die Aufmerksamkeit der Priester. Jetzt kannst du dein Kästchen übergeben.« Die mütterliche Frau lehnte sich, ungeheuer zufrieden mit sich, zurück.
Rani gelang es, ihren Unwillen zu unterdrücken. Stattdessen richtete sie alle ihre Gedanken darauf, eine Fluchtmöglichkeit vor dem plötzlich allzu fürsorglichen Priester zu ersinnen. Alle ihre Überlegungen wurden jedoch zunichtegemacht, als der Kirchenmann die Hand ausstreckte, während Misstrauen sein Gesicht überzog. »Was hast du in diesem Kästchen?« Rani hatte keine andere Wahl, als ihm das Kästchen zu reichen, in der Hoffnung, dass der Bruder die Gabe zu schätzen wüsste und dem Überbringer vergeben würde.
Sie sollte nie erfahren, ob ihr die Absolution zuteil würde.
Gerade als der Priester das Kästchen entgegennahm, sprengte eine enorme Kraft die Türen des Refektoriums. Kalte Nachtluft fegte herein und blies mit rücksichtsloser Heftigkeit in Stroh und Kleidung. Bestürzte Pilger schrien auf, und mehr als ein reisender Soldat griff nach seinem Schwert, das an diesem geweihten Ort natürlich fehlte.
Rani, nervös vor Angst, als Schwindlerin entlarvt zu werden, kroch unter den langen Tisch des Refektoriums. Sie drängte sich zwischen Hardus Füßen hindurch und umklammerte dabei Farnas Umhang, bedeckte ihre bebenden Schultern mit der dunklen Wolle der Frau. Von ihrem geschützten Platz aus konnte sie unter Zittern die Szene in dem Refektorium beobachten.
Furcht erregende Krieger drangen wie ein Wirbelsturm in den Raum und stürzten Bänke und Tische um, als wären es Puppenmöbel. Die Plünderer packten grob jammernde Pilger, und viele Stimmen beteten wimmernd um Jairs Eingreifen. Rani hörte die priesterliche Stimme ihres früheren Befragers, die schrill das Gnadengebet rezitierte.
Das Händlerkästchen stürzte in dem Tumult von der Bank, und der geschnitzte Deckel zerbrach auf dem Steinboden. Die hölzernen Überreste schlidderten umher und spien die gerollten Dokumente aus. Die Belege wirbelten umher wie goldener Schnee, und Rani bekämpfte den Drang, die Gaben einzusammeln, sie vor trampelnden, ketzerischen Füßen zu bewahren. Obwohl ihr die Gefahr bewusst war, in der sie sich befand, wäre sie vielleicht hervorgestürzt, um die Belege aus ihrem Kästchen aufzusammeln, aber eine plötzliche Erkenntnis ließ sie erstarren. Das Papier der Händlerbelege war das einzige metallische Schimmern in dem chaotischen Raum.
Keine blank gezogene Waffe war bei den Plünderern zu sehen.
Wären die Eindringlinge eine Horde Soldaten, wäre jeder einzelne bewaffnet gewesen. Stattdessen war das einzige Zeichen, was die Eindringlinge verband, die schmale, schwarze Maske, die Augen und Nase vor Pilgern und Priestern verbargen,
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