Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Gläubigen von einer Schale duftender Suppe auf. »Sieh da, junge Pilgerin! Setz dich zum Essen zu uns, ja?«
Rani erkannte den Akzent von König Shanoranvillis östlichsten Regionen. Sie hatte schon einige solche Reisende gehört, als sie sich um den Stand ihres Vaters gekümmert hatte. Von dem Versprechen auf gutes Essen und tröstliche Gesellschaft angelockt, wollte sie den Platz annehmen, wich aber wieder zurück, als sie erkannte, dass sie ohne den Tausendspitzigen Stern der Pilger verloren wäre. Stattdessen vollführte sie einen Hofknicks, während sie ihr Zedernholzkästchen noch immer unbeholfen umklammerte. »Ich danke Euch, gute Frau, aber ich bin nur eine Händlerin aus der Stadt, die eine Nachricht vom Händlerrat überbringen soll.«
»Eine Händlertochter!«, rief die alte Frau aus. »Dann musst du dich erst recht zu uns setzen – mein Mann und ich sind Blechschmiede aus Zarithia und haben auf dem langen Pilgerweg den Trost unseresgleichen vermisst.«
Der Ehemann der Frau lauschte ihrer Unterhaltung und wandte sich nun mit prüfendem Blick Rani zu. »Eine Händlerin in der Stadt, das bist du? Du wirkst ein bisschen zu mager, um eine wahre Händlertochter zu sein.«
»Hardu, benimm dich«, schalt die Frau, bevor sie sich wieder umwandte, um ihren neuen Schützling zu bemuttern. »Du siehst so aus, als könntest du etwas Fleisch auf den Knochen gebrauchen. Komm, setz dich neben mich und erzähle mir, wie es ist, in der Stadt zu leben.«
»Verzeiht, Madam, aber ich muss dieses Kästchen zu den Priestern bringen.«
»Unsinn. Kein Priester wird während einer Mahlzeit Geschäfte abwickeln. Selbst die fromme Kaste weiß, dass wir unsere Körper nähren müssen, bevor wir unseren Geist nähren können. Komm, Hardu, rück ein Stück hinab, damit sich diese Kleine zu uns setzen kann.«
Der Mann verlagerte sein Gewicht auf der Bank, und Rani nahm den angebotenen Platz ergeben an, wobei sie bewusst nicht darauf hinwies, dass viel zu viele Priester tatsächlich während Mahlzeiten Geschäfte abwickelten – zumindest Leichen einbalsamierten und Gebete darboten. Die Frau – sie stellte sich als Farna vor – kümmerte sich um ihren neuen Schützling und bot ihr die besten Leckerbissen von ihrem eigenen Schneidebrett an. Während sich Ranis Magen bei dem üppigen Duft zusammenzog, legte Farna ihren warmen Wollumhang um die Schultern des Mädchens und schnalzte mit der Zunge, weil Kinder stets darauf beharrten, nur halb bekleidet in den Straßen umherzulaufen, ungeachtet des Winterwindes, der drohenden Grippe oder einer Anzahl anderer lauernder Unheile, die nur eine Mutter erkennen konnte.
Resignation vermischte sich mit Erleichterung, während Rani das gute Pilgeressen einnahm. Sie musste nur gelegentlich, schwer schlucken, wenn sie den Geruch der Myrrhe an ihren Händen wahrnahm.
»Wir haben unsere Tochter in Zarithia zurückgelassen«, plauderte Farna. »Sie ist älter als du, Liebes, alt genug, um unseren Marktstand zu führen, ohne dass wir noch auf sie aufpassen müssten. Wir haben sie schon vorher gewähren lassen, um sicherzugehen, dass sie die sechs Monate zurechtkommt, die wir auf Pilgerreise sein werden. Stimmt’s nicht, Hardu?«
Hardu brummte zustimmend, und Farna ging zum nächsten Thema über. »Wir konnten es kaum fassen, welches Pech wir mit unserer Wahl des Zeitpunkts hatten, dass wir uns auf den Pilgerweg machten, als die Stadt gerade vom Pech befallen wurde! Prinz Tuvashanoran – hast du ihn je gesehen?«
Rani schluckte ein verhängnisvolles Stück Knorpel hinunter und brachte mühsam hervor: »Ja, er war ein bedeutender Mann. Er kam häufig durch das Händlerviertel. Alle Kasten waren seinem Herzen als Verteidiger des Glaubens nahe.«
»Verteidiger«, brummte Hardu. »Das ist er nie ganz geworden, oder?« Der Mann unterbrach seine Frage, um nach einem schweren Laib Brot zu greifen, und mühte sich dann mit einem der vom Gebrauch stumpfen Messer der Kathedrale mit der Kruste ab.
»Diese Stadt braucht mehr zarithianische Waren.« Rani gelang es, von der Frage abzulenken, und sie zuckte zusammen, als Hardu die stumpfe Klinge durch das Brot hebelte und einen Schauer krustiger Krümel auslöste. »Ich habe selbst eines.« Sie konnte nicht widerstehen, ebenfalls etwas anzugeben, und klopfte auf den Beutel, der nun neben dem geschnitzten Holzkästchen der Händler lag.
»Also ein Messer? Hörst du das, Hardu? Das Kind kann den Wert unserer Waren erkennen, selbst hier in König
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