Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
zu erbitten, um Verstärkung für seine unerfahrene Rebellion zu fordern. Er war mit Schlachtplänen und Losungen gekommen, bereit, seinen so genannten Bruder zu verraten.
Es gab natürlich keinen Grund, einem Halbblutbastard zu vertrauen. Keinen Grund, einem Jungen zu vertrauen, dessen Mutter und Vater beide als Verräter hingerichtet worden waren.
Nicht dass Sin Hazar irgendwelche Einwände gegen Feliciandas Versuch vorzubringen gehabt hätte, das Königreich Morenia der Heimat ihrer Ahnen zuzuführen. Nein – Sin Hazars einziger Kummer war es, dass seine Schwester versagt hatte. Felicianda hatte stets zu Komplikationen geneigt. Kein Grund, auf geradem Weg voranzugehen, hatte sie stets gedacht, wenn stattdessen ein Umweg möglich war.
Sin Hazar grinste Al-Marai barbarisch an und nickte seinem Soldaten zu. »Ich werde sie hier empfangen.«
Als der Wächter das Trio in den steinernen Raum führte, hatte Sin Hazar neben der detaillierten Landkarte Aufstellung genommen. Er nahm eine Markierung hoch, ein Symbol, das zehn Reiter repräsentierte. Er ließ sie mühelos zwischen seinen Fingern spielen, darüber hinweg, darunter hindurch, darüber hinweg, darunter hindurch, ließ sich von dem vertrauten Gefühl beruhigen. Während Sin Hazar ursprünglich geplant hatte, in die Landkarte vertieft zu scheinen, wenn seine Besucher den Raum betraten, beschloss er im letzten Moment, sie beim Hereinkommen genau zu beobachten.
Er hob einen juwelengeschmückten Finger an seine Schwanentätowierung, als wolle er einen momentanen Juckreiz beseitigen. Die Bewegung entging den drei Südbewohnern nicht, die seinen deutenden Finger alle gehorsam verfolgten. Er sah, wie jeder einzelne von ihnen die silbrige Schwanenschwinge, die sich auf seiner Wange ausbreitete, anerkannte. Sin Hazar konzentrierte sich jedoch auf den Jungen. Auf seinen Neffen.
Bashanorandi war noch nicht ganz ausgewachsen. Er wies gewiss die Größe seiner Mutter auf, aber mit – wie viel? – fünfzehn Jahren mussten seine Schultern und die Brust noch breiter werden. Der Junge trug Halaravillis Farben, obwohl die Uniform wirkte, als habe er zwei Wochen lang darin geschlafen. Einfache Kleidung, wie Sin Hazar bemerkte. Kein Samt. Keine Seide. Als wäre Bashanorandi nur ein armer Verwandter. Nun, selbst das war nicht ganz die Wahrheit, oder?
Das morenianische Karmesinrot biss sich mit Bashanorandis kastanienbraunem Haar. Ah ja, das kastanienbraune Haar, mit dem auch seine Mutter gesegnet gewesen war. Das, und seine blauen Augen. Die Gesichtsform des Jungen war jedoch zarter, als Feliciandas es jemals gewesen war. Das Kinn des Jungen lief spitz zu, und seine Augen zogen sich leicht schräg nach oben. Sein fuchsartiger Gesichtsausdruck ließ ihn verletzlich wirken. Das Erbe seines Verrätervaters, vermutete Sin Hazar.
Er ließ seinen Blick rasch über die Begleiterinnen des Jungen zucken. Zwei Mädchen. Eines wirkte hager und hatte eine vom Leben auf der Straße verkniffene Miene. Sie trug einen Arm in einer Schlinge und hielt ihn unbeholfen quer vor der Brust. Das andere Mädchen war besser genährt und äußerlich unverletzt, aber sie fühlte sich unbehaglicher und sah sich in dem steinernen Raum um, als erwarte sie, von den Wächtern jeden Moment in ein Verlies geworfen zu werden. Beide wirkten, als sollte man keinen Herzschlag auf sie verschwenden. Der König wandte den Blick wieder Bashanorandi zu.
»Verwandter.« Er sprach dieses eine Wort unbewegt aus, ohne Hinweis auf Willkommen oder Abwehr. Er beobachtete, wie Bashanorandi die Silben registrierte und wie sich Verwirrung auf seinem Gesicht ausbreitete. Sollte er diesen Mann, dem er nie zuvor begegnet war, familiär begrüßen? Sollte er sich wie ein Adliger der Königswürde gegenüber verhalten? Wie ein Prinz einem König gegenüber? Sin Hazar konzentrierte seinen Blick vollkommen auf den Jungen und gab ihm bewusst keine Hilfestellung.
»Euer Majestät.«
Ausgezeichnet! Sin Hazar hätte sich vielleicht daran geweidet, wäre er nicht so sehr darauf erpicht gewesen, den Jungen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Feliciandas Sohn würde ihn also als König ansprechen, als Lehnsherrn. Das könnte die Dinge vereinfachen. »Wir hoffen, dass du eine gute Reise zu unserem Hof hattest. Hätten wir deine Absicht gekannt, die Heimat deiner Mutter zu besuchen, hätten wir dir eine Eskorte zum Hafen gesandt.«
»Ich… wir wussten erst, dass wir hierherkommen würden, als wir uns bereits an Bord des Schiffes
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