Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
genug davon. Ich frag dich noch mal. Bist du für uns oder gegen uns?«
Hal sah die uralte Frau an und fragte sich, wer das Unberührbaren-Weib zur Macht hinter dem Thron erhoben hatte, hinter ganz Morenia, hinter – wenn er ihr glauben konnte – der ganzen Welt. Es war nutzlos zu protestieren, hoffnungslos zu rebellieren. Seine Stimme klang erschöpft, als er gelobte: »Ich bin für euch, Glair. Ich bin für die Gefolgschaft.«
Die alte Frau wollte nicken, aber die Geste ging in ihrer Schüttellähmung unter. »In Ordnung, Junge…«
»Ich bin für die Gefolgschaft«, unterbrach Hal sie, »aber ich bin auch für Morenia. Bevor ich der Gefolgschaft gegenüber meine Schwüre leistete, wurde ich als Sohn König Shanoranvilli ben-Jairs geboren. Ich schulde Morenia etwas, ich schulde den Adligen und Soldaten, den Gildeleuten und Händlern etwas, die mir während der vergangenen zwei Jahre treu gefolgt sind. Ich kann mein Königreich nicht einfach der Gefolgschaft übergeben, um euch damit tun zu lassen, was immer ihr für richtig erachtet.«
»Was hast du also vor, Junge?« Sie stellte die Frage, als wäre sie wirklich neugierig.
»Ich werde tun, was ich meinem Rat versprochen habe. Ich schicke einen Boten nach Norden. Ich schicke Sin Hazar einen Brief, in dem ich ihn bitte, mir zu erklären, was dieser Affront zu bedeuten hat, und die Rückkehr meines Bruders, Ranis und Mairs fordere.«
»Du hast keinen Bruder, Junge. Deine Brüder sind alle tot und begraben, der Verräter der Bruderschaft, Tuvashanoran, zuletzt.«
»Mein Vater nannte Bashanorandi seinen Sohn, und ich ehre das Andenken meines Vaters. In diesem Punkt schließe ich keine Kompromisse, Glair. Ich schicke meinen Boten. Wenn wir Sin Hazars Antwort haben, komme ich zur Gefolgschaft. Dann werde ich euren Rat einholen.«
Die alte Frau neigte den Kopf, während sie ihn ansah, und er spürte, dass sie seine Worte maß wie Brot auf einer Waage. »Ja«, sagte sie schließlich. »Du kannst deinen Boten schicken. Aber danach wirst du auf die Gefolgschaft hören. Wenn Tasuntimanu in unserem Namen spricht, wirst du seinen Rat annehmen. Sonst wirst du den Preis bezahlen.«
Hal ignorierte die Drohung. »Ich werde meine Botschaft schicken.«
Bevor Glair Genaueres hinzufügen konnte, machte der König von Morenia auf dem Absatz kehrt und verließ die baufällige Hütte. Er schritt rasch durch die Straßen der Stadt, hielt sich an die Schatten und zog den zerrissenen Umhang um sein Gesicht, als er sich belebteren Gegenden näherte. Er wusste nicht, ob Glair Spione hinter ihm herschickte. Er wusste nicht, wie viele Mitglieder der Gemeinschaft des Jair Morens Straßen durchstreiften. Er wusste nur, dass er zum zweiten Mal in ebenso vielen Tagen Stellung dafür bezogen hatte, sein Königreich so zu regieren, wie er es für angemessen hielt. Er hatte standgehalten wie ein Mann, und er mochte das Gefühl dieser festen Erde unter seinen Füßen.
Durch seinen Erfolg belebt, verlangsamte Hal seinen Schritt erst, als er sich dem Palastgelände näherte. Es wäre nicht gut, jetzt ertappt zu werden, von irgendeinem wohlmeinenden Wächter oder einer Dienerin entdeckt zu werden, wo er dem Abschluss seiner Mission so nahe war. Er musste sich nur noch einige weitere Momente in den Schatten halten, diese Gasse hinabgehen, die Mauer des Geländes entlang, und…
Hal umrundete die letzte Biegung und erwartete, in dem notdürftig beleuchteten Gang, der in den Palast führte, allein zu sein. Stattdessen standen zwei schattenhafte Gestalten in der engen Gasse. Der Breite ihrer Schultern nach zu urteilen, waren es Männer in der mühelosen Haltung von Soldaten oder kampferprobten Adligen.
Hal hielt den Atem an, um ihre geflüsterten Worte besser hören zu können. »Ich sage dir, der Rat wird keine weiteren Szenen wie die gestrige dulden.« Der Sprecher trat zurück, während er seine Worte äußerte, und sein breites Gesicht wurde im Abendlicht deutlich sichtbar. Tasuntimanu!
»Ja. Der Junge hat mit uns gespielt, als wären wir Schachfiguren. Er ist geschickt, das sage ich dir. Das macht mir Sorgen. Er ist ebenso geschickt, wie es sein Vater war, vielleicht geschickter.« Hal konnte die Worte kaum verstehen, aber der Tonfall war eindeutig – der Sprecher hatte den Vergleich mit dem alten König nicht als Kompliment gemeint. Hals Nackenhaare richteten sich als lautlose Warnung auf, und er schlich sich näher an das Paar heran, entschlossen zu erfahren, wer mit Tasuntimanu gegen
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