Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
Seite und lauschte auf die klingende Musik des Haarschmucks. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, und es gelang ihr, nicht zusammenzuzucken, als sie den fast unerträglichen Druck der Nareethstäbe noch verstärkte. »Ich werde es König Sin Hazar erklären.« Sie fügte den Worten ein kaum wahrnehmbares Lächeln an und beobachtete, wie der Soldat willfährig dahinschmolz. Zwei der Wächter begleiteten sie den Gang hinab, und ein weiterer blieb zu Mairs Bewachung zurück.
Rani wunderte sich über die Macht ihrer Verkleidung.
Es war, als hätte Mair sie beim Festzurren des Nareeth mit einem Zauber belegt. Rani konnte die Blicke der Soldaten spüren, während sie die Gänge durchschritten. Alle Mitglieder der Wache dieses Haushalts nahmen Haltung an, als wären sie bei einer Militärparade.
Als Rani in den großen Saal geführt wurde, hielten die Musiker in ihrem Spiel inne. König Sin Hazar saß bereits am Kopfende seines großen Tisches und blickte spürbar gelangweilt in den Raum. Er erhob sich jedoch, als Rani eintrat, und wölbte eine Augenbraue, während sie die Länge des Saales durchschritt. Das flackernde Fackellicht betonte die silbrigen Schwanenschwingen auf seinem Gesicht und verlieh ihm einen Hauch von Rätselhaftigkeit.
Rani erntete Blicke von allen Adligen, an denen sie vorüberkam. Mehr als ein Blick schweifte von ihrem Gesicht ab. Sie wurde sich jäh der winzigen Falten des Balkareen bewusst, der eng anliegenden Nareethstäbe um ihre Taille. Ihre Wangen röteten sich, und sie neigte den Kopf, aber dadurch klimperte nur wieder ihr Haarschmuck, als beabsichtige sie, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Bashi stand zu Sin Hazars Rechten. Auch er hatte sich erhoben, als Rani den Saal durchquerte. Rani sah überrascht einen merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht des Prinzen, so als hätte er Rani noch niemals zuvor gesehen oder als wäre er ihr nur in der unzuverlässigen Landschaft seiner Träume begegnet. Ihre Lippen kräuselten sich ohne ihr Zutun zu einem ganz schwachen Lächeln.
»Lady Ranita.« König Sin Hazar trat vor und reichte ihr die Hand.
Rani versank in einen schwungvollen Hofknicks und unterdrückte einen Aufschrei, als die Bewegung die knochigen Finger des Nareeth noch tiefer in ihre Haut trieb. Sie hielt jedoch unwillkürlich den Atem an, und ihr Keuchen straffte die Falten des Balkareen über ihrer Brust. Sie errötete, als sie den Adlerblick des Königs bemerkte, und erkannte, dass er ihre nicht sichtbare Haut mit geübtem Auge maß. »Euer Majestät«, brachte sie hervor. Der Haarschmuck klimperte erneut, als sie sich wieder aufrichtete.
»Wir wagen kaum zu fragen, Lady Ranita, damit Ihr nicht glaubt, wir minderten den Wert Eurer Anwesenheit, aber wo ist Eure Begleiterin, die Lady Mair?«
»Es geht ihr nicht gut, Euer Majestät. Ihr Arm schmerzt sie.«
Der königliche Blick schnitt erneut durch Ranis Körper, und sie erkannte, dass der König den genauen Sitz der Stäbe prüfte. Er wusste, dass sich keine Dienstboten um seine Gefangenen gekümmert hatten. Mairs Arm konnte nicht so schlimm sein, wie sie vorgab. »Wir werden ihr erneut unseren Arzt schicken.«
»Das ist nicht nötig, Euer Majestät. Einige Verletzungen kann nur die Zeit heilen.«
»Wir möchten uns nicht nachsagen lassen, dass wir einen Gast in unserem Hause vernachlässigten.«
»Wir wurden nicht vernachlässigt, Euer Majestät.« Das genügte nicht. Sin Hazar hielt sie noch immer mit seinem Blick gefangen. Wenn der König doch nur blinzeln würde… Wenn er Rani nur augenblicklich aus seiner Aufmerksamkeit entlassen würde… Sie fühlte sich gezwungen hinzuzufügen: »Lady Mair und ich… wir haben uns heute Nachmittag gestritten.«
»Gestritten?« Der König erstickte fast an dem Wort, und Rani konnte jähe Belustigung am Grunde der tiefen Teiche ausmachen, die sie umfingen.
»Ja, Euer Majestät.«
»Also gut.« Der König zuckte die Achseln und schien die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. »Wenn Lady Mair kein Interesse daran hat, sich uns anzuschließen…« Sin Hazar brach ab und deutete dann auf den leeren Stuhl zu seiner Linken. »Wir werden uns durch Eure Gegenwart noch geehrter fühlen, Lady Ranita.«
Rani spürte die Hand des Königs, als er sie zu ihrem Platz geleitete. Seine Finger brannten heiß durch die Schichten Tuch und Knochen, die sie umhüllten. Seine Berührung verweilte, während sie sich vorsichtig hinsetzte und so zurechtrückte, dass sie möglichst leicht atmen
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