Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
konnte. Dann rief Sin Hazar die Diener herbei, und Rani sah zu, wie ihr Glas mit kühlem, reinem Wein gefüllt wurde. Sie trank in großen Schlucken und ignorierte das Zwicken des Nareeth.
Vielleicht war es die Magie des Festessens – die gebratenen Vögel, die im Federkleid aufgetischt wurden, und die niemals endenden, mit seltenen und kostbaren Gewürzen von jenseits des Ostmeeres verfeinerten Speisen. Vielleicht war es die Aufmerksamkeit, die König Sin Hazar ihr zollte, während er, bemüht wie ein höflicher Verehrer, ihre Fragen zu jeder neuen Speise beantwortete. Vielleicht waren es die Blicke, die sie aus allen Ecken des Raumes auf sich spürte – die der Adligen, die von den kunstvollen Falten über ihrer Brust angezogen schienen, angezogen wie Motten vom Licht.
Vielleicht waren es die Knochenstäbe, die ihr jeglichen tiefen Atemzug verwehrten.
Aus welchem Grunde auch immer – Rani war berauscht, bevor sie ihren ersten Kelch geleert hatte. Und Sin Hazar sorgte dafür, dass dieser Kelch nicht lange leer blieb. Der König befahl einem Diener, Ranis Glas immer wieder aufzufüllen, sowie einem anderen, ihr Schneidebrett stets nachzufüllen. Sie stellte fest, dass sie nur wenige Bissen der üppigen, gewürzten Fleischspeisen zu sich nehmen konnte. Ihr Herz pochte zu stark, um mehr zu essen.
Aber sie trank während des langen Abends aus ihrem Kelch, während ein Gang nach dem anderen aufgetragen wurde und die Speisen von Unterhaltung gefolgt wurden – Jongleure und Troubadoure und ein lustiger Hofnarr in bunter Kniehose, der freche Geschichten erzählte.
König Sin Hazar blieb während des gesamten Festessens auf Rani eingestimmt. Sie erkannte das Interesse des Mannes. Sie hatte zu viel Zeit mit ihren älteren Schwestern oben auf dem Dachboden des Ladens ihrer Eltern verbracht, um die Blicke nicht zu verstehen, die der König auf ihre eingeschnürte Brust warf, auf ihren klingenden Haarschmuck.
Wenn Sin Hazar wirklich von ihr fasziniert wäre, könnte sie vielleicht ihre Freilassung aushandeln, ihre Reise nach Süden mit Mair, oder zumindest das Recht, Hal einen Brief zu schicken… Rani nahm noch einen Schluck Wein und beugte sich näher zum König hinüber, wagte es, eine ihrer Hände auf den Ärmel seines goldfarbenen Gewandes zu legen.
Während all der Leichtfertigkeit und Tändelei saß Bashi jedoch an Sin Hazars anderer Seite und runzelte wie ein altes Kindermädchen die Stirn. Der Prinz aß ebenfalls von allen Speisen und trank aus seinem Kelch, aber er hätte, dem Vergnügen nach, das er zeigte, ebenso gut bei einem Leichenschmaus sitzen können. Sobald der letzte Gang serviert war – ein Marzipankonfekt, dessen Mandelpaste zu einem großartigen Schwan gestaltet war –, erhob sich Bashi.
»Wenn Euer Majestät mich entschuldigen«, murrte er und verbeugte sich.
»Wohin willst du, Verwandter?«
»Ich bin müde, Euer Majestät. Und Lady Ranita muss ebenfalls müde sein.«
»Lady Ranita scheint nicht müde.« Der König warf einen betonten Blick auf Rani. Sie zog verwirrt die Hand von seinem Ärmel zurück. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, hob sie den Kelch an ihre Lippen. Als sie schluckte, drehte sich der Raum wie wild.
»Sie erkennt vielleicht nicht, wie anstrengend ein königliches Festessen sein kann, Euer Majestät. Vielleicht sollten wir sie für sich selbst sprechen lassen.«
Sin Hazar sah seinen Neffen eine lange Minute ernst an und wandte sich dann an Rani. »Lady, Euer Beschützer glaubt anscheinend, Ihr würdet Euch gerne von unserem Tisch erheben. Was sagt Ihr dazu?«
Obwohl der Wein durch ihre Blutbahnen schwamm, hörte Rani die Drohung hinter den Worten. Sie stellte sich Sin Hazars Zorn vor, wenn sie Bashi zustimmte, wenn sie sagte, sie wolle tatsächlich in ihre Räume zurückkehren. Der König würde Bashi vielleicht bestrafen, ihn in eine Gefängniszelle werfen lassen. Oder Schlimmeres. »Euer Majestät«, begann Rani, aber sie musste tief einatmen, um sich zu konzentrieren. Dabei schnitt ihr der Nareeth in die Rippen, und sie widerstand dem Drang zusammenzuzucken. »Sowohl Bashi als auch ich fühlen uns durch das Festessen geehrt, das Ihr für uns ausgerichtet habt. Wir sind nicht geneigt zu gehen, bevor Eure Majestät es möchte.«
»Ha!« Der König streckte einen langen Finger aus und fuhr die Linie von Ranis entschlossenem Kinn nach. »Gut gesagt.« Er schien das Schaudern zu ignorieren, das Rani bei seiner Berührung durchlief, und wandte sich
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