Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
sich hinein, um Ansammlungen gelber Blätter darzubieten. Winzige gemusterte Raupen sprenkelten die Glasarbeit wie kleine Mängel im Glas.
Rani schluckte schwer. Die Spinnengilde besaß ein prächtigeres Gebäude als alles, was Hal bieten konnte. Sie besaßen kostbarere Glasschätze als alle, die sie gestalten konnte. Sie blickte finster und trotzig drein. Sie würde mit der Gilde handeln. Sie würde die Ribberybäume bekommen. Ihr König war auf sie angewiesen. Ganz Morenia verließ sich auf sie.
Inzwischen war das Gewirr komplizierter Gänge vertraut. Während die Wächter sie ins Herz des Gildehauses führten, gab Rani den Traum auf, sich den Weg einprägen zu können, die Windungen und Biegungen wiedererkennen zu können. Sie wusste jetzt, dass sie ein Netz beschritt, dass sie einem Zentrum immer näher kam, einem einzelnen Raum, der im Herzen der Macht der großen Gilde liegen würde.
Und sie wurde nicht enttäuscht.
Die Wächter gelangten vor eine Doppeltür, die üppig mit Intarsien in vielen verschiedenen Holzfarben versehen war. Rani war kaum überrascht über die Geschichte, welche die komplizierte Einlegearbeit erzählte: Wuchtige Octolaris breiteten sich über die Türen aus, ihre Körper waren so lang wie Ranis Unterarm, ihre gebeugten Beine erreichten fast die Länge von Ranis Körper. Rund um die Spinnen zogen sich detailliert dargestellte Riberrybäume mit Zweigen in Silbergrau, wobei jedes einzelne Blatt aus glatt poliertem Holz angefertigt war. Als Rani sich auf das Meisterwerk konzentrierte, konnte sie in den Ansammlungen von Gelb am Ende jedes Riberryzweiges hölzerne gemusterte Raupen ausmachen.
Ohne Vorwarnung schwangen die Türen nach innen auf. Rani bewahrte sich genug Sinn für Dramatik, um auf der Schwelle innezuhalten, während sie den Druck ihrer Wächter registrierte, die sie vorwärtsdrängten. Sie sah sich um und nahm den Raum im Zentrum des Gildehauses auf, erfasste den Mann in der Mitte des Raumes.
Es gab keine Fenster entlang den Wänden – der Raum befand sich dafür zu tief in dem Gebäude. Es gab jedoch kunstvolle Schirme mit großen, dahinter brennenden Fackeln, die entlang den Rändern der Halle eingelassen waren. Spiegel waren um die Fackeln angebracht, sammelten das flackernde Licht und warfen es in den Raum zurück. Rani verschwendete keine Zeit damit, die komplizierte Konstruktion dieser gespiegelten Laternen zu studieren. Sie wusste, dass sie mit den Hilfsmitteln in Zusammenhang stünden, die sie am Tor fast blind gemacht hatten, mit den Lampen, die Tovins Gaukler einsetzten.
Stattdessen bemerkte sie die Sklaven, die sich um die Fackeln kümmerten. Die lodernd brennenden Lampen ließen den Raum eng und stickig wirken. Die Luft war schwer. In dem Versuch, der Schwüle zu begegnen, waren zwischen den Fackeln Sklaven aufgestellt, die schwere Fächer aus Seidenbändern bewegten. Rani spürte, wie Crestman neben ihr erstarrte, während sie die Szene aufnahm, und sie erkannte, dass ein Dutzend Soldaten aus dem Kleinen Heer in der Nähe standen.
Das ihnen am nächsten stehende Kind war ein schmächtiger Junge. Er war bei seiner Verschiffung nach Liantine wohl nicht älter als acht oder neun Jahre gewesen. Die Narbe des Kindes bedeckte seine halbe Wange und trat im flackernden Fackellicht hervor wie ein Flecken kranker Haut. Der Junge biss sich auf die Lippen, während er sich bemühte, den schweren Seidenfächer zu bewegen. Er mied ihren Blick, weigerte sich, irgendeinen der Besucher wahrzunehmen. Stattdessen starrte er geradeaus, als wäre er blind, als wäre er kein Kind mehr.
Natürlich war er das nicht. Er war bewegliches Eigentum. Er war ein Sklave. Er gehörte jetzt der Spinnengilde, so sicher, wie er zuvor Sin Hazar gehört hatte.
Etwas an dem tapferen Kind ließ in Ranis Gedanken einen Plan reifen. Noch während sie die Möglichkeiten durchging, schaute sie zu Crestman und wünschte sich, sie könnte ihn warnen. Aber das konnte sie nicht. Sie konnte ihn nicht beruhigen, ihm ihre wahre Absicht nicht erklären. Er würde vertrauen müssen. Bei Cot, dem Gott der Soldaten, würde er glauben müssen, dass sie in seinem besten Interesse handelte.
Rani atmete tief ein, lenkte ihre Aufmerksamkeit von dem Kindsklaven weg und zwang sich, den Gildemeister anzusehen, den Führer der gesamten Spinnengilde.
Er stand in der Mitte des Raumes. Der Mann war groß, größer als Tovin, und sein Kopf war geschoren. Tiefe Runzeln waren um seine Augen zu sehen, die eindeutige Folge
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