Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
an ihren Platz zu ziehen, wobei seine Handfläche unbeabsichtigt ihren Arm streifte. Berylina sprang zurück, als hätte er sie verbrannt, während eine komplizierte Mischung aus Scham und Not auf ihrem Gesicht aufflackerte. Hal zischte und zog die Hand zurück, als hätte er etwas falsch gemacht. Eines der Kindermädchen keuchte: »Es tut mir leid, Euer Majestät!«
»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen.« Hal erholte sich rasch und lächelte wieder. Er erübrigte nur einen Blick für die Frau, die gesprochen hatte, und konnte sich nicht dazu bringen, die zitternde Prinzessin anzusehen. Wie konnte jemand mit solcher Angst vor der ihn umgebenden Welt leben?
Er zog die Läden zu und verriegelte sie sorgfältig. Das Letzte, was ersetzt wollte, war, dass das Holzpaneel durch einen Windstoß wieder aufflog. Das würde Berylina so erschrecken, dass er sie nie wiedersähe. Sie wäre dann wie ein nervöses, neues Pferd, das sich aus seinem Zaumzeug befreite und hinter dem Horizont verschwand.
Wie ein Pferd… Hal spielte gedanklich mit der Vorstellung. Die Prinzessin verhielt sich genau wie ein verschrecktes Tier. Er musste sie beruhigen. Er musste verhindern, dass sie die Schlinge der Herrschaft bemerkte, die er ihr vielleicht um den Hals legen würde. Er dachte an das erste verängstigte Stutfohlen, das er ans Zaumzeug gewöhnt hatte, vor Jahren, außerhalb der Ställe seines Vaters. Er wandte sich von den Fensterläden ab und beschloss, eine neue Annäherung zu versuchen.
»Ich selbst mochte Regentage immer, schon als ich noch ein Junge war. Farsobalinti kann davon erzählen. Ich saß in meinem Kinderzimmer und spielte die ganzen langen Regentage des Frühlings über mit meinen Zinnsoldaten. Auch wenn meine Brüder und Schwestern unsere Kindermädchen plagten, sie sollten uns draußen spielen lassen, selbst wenn sie darum baten, die Palastgänge hinauf- und hinablaufen zu dürfen.« Hal warf einen raschen Blick zu Farso, der nickte, als erinnere er sich Hals seltsamer Schweigsamkeit. Berylina schien zu erkennen, dass Hal ihr nichts Böses wollte, und ihr Atem normalisierte sich wieder.
Hal nahm die Reaktion der Prinzessin als gutes Zeichen und sprach weiter. »Ich saß auf einer Steinbank in einer Fensternische, ähnlich wie diese. Mein Kindermädchen brachte mir warme Milch und frisch gebackenes Brot und knackige Herbstäpfel, wenn wir welche hatten. Ich konnte Stunden damit verbringen, Bücher über die Geschichte Morenias zu lesen, über all die von meinem Vater und dessen Vater und wiederum dessen Vater ausgefochtenen Schlachten. Ich studierte Landkarten und plante jene Schlachten und vertrieb mir ganze Tage mit Lesen. Mit Lesen und Schreiben und Zeichnen.«
»Ich zeichne.«
Hal bemühte sich sehr, seine Überraschung zu verbergen, seine Erleichterung darüber, dass die Prinzessin endlich etwas gesagt hatte – irgendetwas. Er wagte es nicht, ihr eine direkte Frage zu stellen. Stattdessen zuckte er die Achseln und blickte mit einem sich selbst missbilligenden Lächeln auf seine Hände hinab. »Ich habe gezeichnet, aber nichts, was ich irgendjemandem zeigen würde. Ich konnte eine oder zwei Landkarten zeichnen, und ich konnte ein Wappen ausmalen. Aber ich war nie gut darin, Menschen zu zeichnen.«
»Ich zeichne Menschen.«
»Das erfordert Talent! Ihr müsst gute Lehrer gehabt haben.
Ich habe nie jemanden gefunden, der die Geduld gehabt hätte, mir beizubringen, wie man Menschen zeichnet.«
»Meine Zeichnungen sind im Sonnenraum.«
»Dort muss es heute kalt sein.« Hal hielt inne, denn er war neugierig, ob sie die Gesprächspause füllen würde. Berylina starrte auf ihre Hände und rang die Finger, als fiele ihr keine passende Antwort auf seine Feststellung ein. Hal, der erneut ein Seufzen unterdrückte, fuhr fort: »Das Frühlingswetter ist so unzuverlässig. All dieser Regen wäre Schnee, wenn es nur ein wenig kälter wäre. In Morenia haben wir im Winter viel Schnee, und ein wenig im Frühling.«
»Der Sonnenraum ist sehr hell, wenn es schneit, aber dafür ist es jetzt zu spät im Jahr.«
Hal rang darum, seine Überraschung zu verbergen – das war bisher der längste Satz, den Berylina ihm gewährt hatte. »Ach«, sagte er und bemühte sich, nicht zu schnell zu sprechen. »Heute ist der Sonnenraum wahrscheinlich nicht hell. Die Regenwolken sind dicht. Nein, dies ist ein Tag für Fackeln in den Gängen und Kerzen auf unseren Schreibpulten.« Noch immer keine Antwort. »Ich glaube, Bern muss gut mit
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