Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
beruhigte.
Das Gildehaus war seltsam still, als er dessen Gänge durchschritt. Es hätten Lehrlinge umhereilen und Gesellen eifrig an der Arbeit sein sollen. Ausbilder hätten in den Werkräumen Befehle brüllen und junge Meister die Regeln ihres Handwerks debattieren sollen.
Stattdessen schienen die Gänge so verwaist wie ein Winterstrand bei Sonnenuntergang. »Auch gut«, murrte Parion vor sich hin und zog an dem groben Verband um sein Handgelenk. Er war nicht in der Stimmung, mit seinen Glasmalergefährten zu plaudern, nicht in der Stimmung, höflich darüber zu reden, wie die Welt funktionieren sollte, darüber, wie die Gilde richtig arbeiten sollte.
Parion lebte schon lange genug in Brianta, dass seine Schritte im Takt eines Gebets erfolgten. Clain, bring mir Frieden, dachte er im Gehen. Lass mich den Weg unter meinen Füßen erkennen. Lass mich die Art der Wahrheit und der Gerechtigkeit erkennen. Führe mich, Clain. Bring mir Frieden.
Während Parion diese Bitte dem Gott der Glasmaler gegenüber ständig wiederholte, umrundete er eine Ecke und befand sich nun in dem langen, niedrigen Gang, in dem die Gesellen an ihren Meisterstücken arbeiteten. Er nahm sich einen Moment Zeit, mit den Fingern über die Gebetsglocke zu streichen, und sprach als eine Form der Bitte nur Clains Namen aus.
Zumindest dieser Raum war nicht verwaist. Fünf Gesellen beugten sich über ihre Tische, in der kurzen, verbleibenden Zeit vor ihrer Prüfung angespannt. Belita. Wario. Sharlithi. Cosino. Larinda.
Keine Verräterin.
Larindas Tisch stand der Tür am nächsten, und Parion näherte sich ihm unangekündigt. Er beobachtete, wie das Mädchen seine Miene wahrnahm. Ihr Blick schweifte von seinem Gesicht zu seinem Handgelenk und wieder zurück. Sie erbleichte, als sie das fleckige Tuch sah, das um seine Haut gewickelt war. Er konnte nur erahnen, welche Erinnerungen das blutgetränkte Leinen in ihrem Geist heraufbeschören musste. Er ignorierte das kurzzeitige, mitleidige Verkrampfen seines Herzens. »Larinda Glasmalerin.«
»Gildemeister.« Ihre Worte klangen so stetig wie immer – ruhig, bemessen. Parion widerstand dem Drang, das zerbrochene Medaillon an seiner Brust zu berühren, die Gedanken an seine verlorene Morada zu richten.
»Die Glasmalerprüfung beginnt in zwei Wochen. Bist du bereit?«
Sie zögerte nur einen Moment. Solch eine nüchterne Frage hatte sie eindeutig nicht erwartet. »Ja, Meister.«
»Ich würde gerne deine Zeichnungen sehen. Ich würde gerne sehen, was du zu gestalten beabsichtigst, bevor die Prüfung beginnt.«
Sie zögerte erneut, und dieses Mal vermittelte ihre Antwort ein Dutzend Fragen. »Ja, Meister.«
Sie mochte sich sehr wohl fragen, was er beabsichtigte. Es war den Gesellen ausdrücklich verboten, mit Meistern zu sprechen, während sie ihre Prüfungsstücke planten. Die Gedanken der Gesellen sollten ihre Fähigkeiten bei der Lösung von Problemen widerspiegeln, ihre Gedanken beim Erschaffen von Mustern. Indem Parion forderte, Larindas Arbeit zu sehen, brachte er den gesamten Prozess ins Wanken.
Nun, auch andere Dinge gerieten ins Wanken, in allen Richtungen, in die Parion blickte. Er wollte Larindas Arbeit sehen. Dadurch würde ihm eine Vorstellung davon vermittelt, was von der Verräterin zu erwarten wäre. Im Moment verbot er es sich, zu dem leeren Tisch derjenigen zu schauen, zu fragen, wohin sie gegangen war und warum.
Larinda unterbrach seine Gedanken mit einer behutsam gestellten Frage, hielt ihre Stimme so leise, dass die übrigen Glasmaler sie nicht hören konnten. »Geht es Euch gut, Meister? Wollt Ihr, dass ich Euch beim Verbinden dieser Wunde helfe?«
Wollte er, dass sie ihm half?… Wollte er, dass jemand ihm beistand, ihm half?… Wollte er die Last der Glasmalergilde ablegen – nur ein Mal, nur für einen Tag?…
Aber nein. Er konnte diese Verantwortung nicht Larinda übertragen. Nicht jetzt. Noch nicht. Nicht bevor sie sich mit der Prüfung bewiesen hatte.
»Es geht mir gut, Gesellin. Lass mich deine Arbeit sehen.«
Parion vermutete, dass Larindas Meisterstück ein Teil des gewaltigen Projekts war, Glaspaneele im Heiligtum jedes der Tausend Götter anzubringen. Beim Gedanken an dieses Ziel beschleunigte sich Parions Herzschlag, wurde sein Geist zum ersten Mal klar, seit der Gefolgsmann seine Morgenarbeiten unterbrochen hatte. Parion würde als erfahrener Gildemeister in Erinnerung bleiben. Es würde noch in kommenden Generationen von ihm gesprochen werden. Selbst Fremde
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